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Schmuggler verlangen viel Geld dafür, Rohingya in Sicherheit zu bringen

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Manchen Schmugglern wird vorgeworfen, Flüchtlinge gefangen zu halten, bis sie ihre Schulden für die Überfahrt aus Myanmar bezahlt haben.

Rohingya-Flüchtlinge kommen auf einem Boot in Bangladesh an, während am Strand hinter ihnen Rauch aufsteigt.
Rohingya-Flüchtlinge kommen auf einem Boot in Bangladesh an, während am Strand hinter ihnen Rauch aufsteigt. © Adib Chowdhury / AFP / Getty Images

COX'S BAZAR, Bangladesch – Rohingya-Muslime, die vor der Gewalt in Myanmar fliehen und in Bangladesch Asyl suchen, müssen Schmugglern riesige Summen für die Überfahrt über die Grenze zahlen. Manche werden gefangen gehalten, bis ihre Schulden bezahlt sind.

Fischer aus Bangladesch, die jetzt als Schmuggler arbeiten, verlangen Summen, die die meisten Flüchtlinge nicht bezahlen können. Dadurch sind viele gezwungen, mit Schmuck zu bezahlen. Andere werden wegen unbezahlter Schulden bedroht. Das erfuhr BuzzFeed News von Rohingyas, die es nach Bangladesch geschafft haben.

Manche Flüchtlinge betteln auf den Straßen vor der Hafenstadt Cox's Bazar, um ihre Familien ernähren zu können und die Schulden bei den Schmugglern abzubezahlen, deren Rache sie fürchten.

Reyhana Begum, eine 25-jährige Rohingya, gehört zu den Tausenden von Flüchtlingen die den Fluss Naf überquert haben, der entlang der Grenze zu Bangladesch verläuft. Durch den drei Tage langen Marsch mit ihrem Kleinkind Enam und einem Neugeborenen Mohammed war sie erschöpft und blutete. Begum sagt, burmesische Soldaten hätten ihr Dorf Nu Ru La in Brand gesteckt. Die Einwohner seien mit dem davongelaufen, was sie tragen konnten.

Als bei ihr auf dem Weg im Wald die Wehen einsetzten, musste Begums Schwiegermutter die Nabelschnur mit einer Rasierklinge durchschneiden. Tage später blutete Begum noch immer von den Nachwirkungen der traumatischen Geburt.

Bei der Ankunft am Flussufer, hatte sie kaum eine andere Wahl, als einen Schmuggler zu bezahlen. „So viele Menschen wurden auf der Reise erschossen und starben“, sagt sie und beschreibt, wie die Leichen liegen blieben. „Es gab niemanden, der sie begraben konnte.“

Die bangladeschischen Schmuggler verlangten eine Gebühr von 4.000 Taka, was etwa 40 Euro entspricht – eine riesige Summe für Begum, deren Mann als Bauer und Fischer arbeitet. Andere Flüchtlinge sagen, dass sie Gebühren in Höhe von 10.000 Taka bezahlt haben, also etwa 100 Euro. Begum sagt, dass sie um eine Überfahrt gefleht und versprochen habe, später zu zahlen.

Jetzt fordern die Schmuggler diese Schulden zurück.

„Der Fährmann kam gestern und heute noch einmal“, sagt Begum in einem leeren Gebäude im Fischerdorf Shamlapar, wo sie Unterschlupf gefunden hat. Es ist nur eine kurze Fahrt von der Hafenstadt Cox's Bazar entfernt. Auf die Frage, ob sie Angst habe, nickt sie stumm.

Ihre beiden Kinder sind krank. Sie haben Fieber und Durchfall, sagt sie. Neben ihr auf einer Matte liegt Enam und start teilnahmslos an die Decke. Seine Brust hebt und senkt sich unter schmerzhafter Anstrengung. Mohammed windet sich im Fieberwahn im Schoß seiner Mutter. Seine Augen verdrehen sich, bis das Weiße zu sehen ist. „Er wird sterben“, sagt Begum und starrt ins Leere.

Reyhana Begum floh mit ihren beiden Söhnen, von denen einer auf der Reise geboren wurde, nach Bangladesch.
Reyhana Begum floh mit ihren beiden Söhnen, von denen einer auf der Reise geboren wurde, nach Bangladesch. © Poppy McPherson for BuzzFeed News

Die Gewalt in Rakhine brach letzten Monat aus. Militante Rohingya, die sich selbst als Arakan Rohingya Salvation Army bezeichnen, haben koordinierte Angriffe auf Dutzende von Grenzposten gestartet. Burmesischen Soldaten wird vorgeworfen, sich daraufhin mit einheimischen Buddhisten zusammengetan zu haben, um Rohingya-Dörfer zu zerstören und zu plündern, wobei viele niedergebrannt wurden. Das wird von Amnesty International als „Taktik der verbrannten Erde“ beschrieben. Der Menschenrechtsvorsitzende der Vereinten Nationen hat die Angriffe auf Rohingya als „Schulbuchbeispiel für ethnische Säuberung“ beschrieben.

Mindestens 400.000 Menschen haben sich seitdem auf den gefährlichen Weg nach Bangladesch begeben – fast die Hälfte der geschätzten Rohingya-Bevölkerung von Myanmar – wobei sich viele auf die Fischer verlassen müssen, die Menschen aus dem Krisengebiet bringen.

Die Grenzpolizei Bangladeschs verurteilt die Fischer als Schleuser und hat zum Teil ihre Boote verbrannt sowie einige festgenommen, die von Rohingya der Entführung bezichtigt wurden. Die Fischer jedoch sagen, dass sie helfen, Leben zu retten – und viele Rohingya stimmen ihnen zu. Für sie sind die überfüllten Boote ihre einzige Rettungsleine, auch wenn diese ihren Preis hat.

Myanmar gewährt Hilfsorganisationen weiterhin keinen Zugang zu der Region. Das bedeutet, dass Helfer keine Möglichkeit haben, die Rohingya zu erreichen, die immer noch im Landesinneren festsitzen.

Der kahle Raum, in dem Begum untergekommen ist, ist überfüllt mit Familien, die Schulden bei den Schmugglern haben. Jinara, ebenfalls aus Nu Ru La, erzählt beim Stillen, dass auch sie die Männer in den Booten angefleht habe, sie mit ihren sechs Kindern an Bord zu lassen. Sie waren einverstanden, dass die 35-Jährige die Gebühren später zahlt. „Ich kenne viele Leute, die die Grenze für 10.000 Taka überquert haben, also war ich dem Fährmann sehr dankbar“, sagt sie.

„In Maungdaw waren wir wohlhabend“, erzählt die Mutter und beschreibt ihr Holzhaus mit Garten in Myanmar. „Wir hatten viele Tiere und Reisfelder.“

Auf dem Boot brach sie vor Erschöpfung zusammen. „Leute haben versucht, mir zu helfen, doch ich sagte ihnen: ‚Ich will sterben. Lasst mich sterben‘“, erinnert sie sich.

Jetzt muss Jinara betteln, um den Fährmann bezahlen zu können. „Er ist in der Nähe und er weiß, dass wir hier sind“, sagt sie über den Fischer, der ihr bei der Überfahrt geholfen hat.

Weil sie kein Geld hatten, gaben sie den Fährmännern ihren Schmuck

Im Chaos der überstürzten Flucht aus den von Soldaten belagerten Dörfern gelang es nur wenigen Rohingya, viel von ihrem Besitz mitzunehmen. Frauen müssen die Gebühren der Fährmänner oft mit ihrem Schmuck begleichen. Vielen Frauen und Mädchen unter den Neuankömmlingen an den Ufern Bangladeschs sind eindeutig die Nasenstecker und -ringe entfernt worden.

Ein Dutzend Rohingya, die gerade aus Rathedaung angekommen sind, kampieren nur wenige Meter von dem Strand entfernt, an dem sie am Vortag abgesetzt wurden, am Straßenrand. Die Schmuggler, die sie angeheuert hatten, hatten ursprünglich 10.000 Taka verlangt. Jedoch hätten sie letzten Endes einen Preis von 2.000 Taka (etwa 20 Euro) pro Passagier in der Gruppe akzeptiert, sagt Rohi Mullah, ein Rohingya mittleren Alters, der die Gruppe anführt.

Er hinkt von einer Schussverletzung an seinem rechten Fuß, berichtet er. Ihr Dorf, Koe Tan Tauk, war von Soldaten und arakanesischen Buddhisten versperrt worden. Mullah erzählt die Gruppe habe mehrere Tage im Wald versteckt verbringen müsseb, bevor sie es in einer Nacht schaffte, sich am Militär vorbei zu schleichen, um das Wasser zu erreichen.

Die Frauen hatten all ihren Nasenschmuck den Schmugglern überlassen, fügt er hinzu. „Weil sie kein Geld hatten, gaben sie den Fährmännern ihren Schmuck“, sagt er.

Trotz des hohen Preises und der Gefahren der Reise sind viele Rohingya den bangladeschischen Fährmännern dankbar. Ohne die Schmuggler würden sie vermutlich immer noch auf der anderen Seite der Grenze festsitzen, zwischen der Armee und dem Wasser.

„Als ich hier in Bangladesch ankam, war ich glücklich, weil ich dachte, mein Leben wäre gerettet“, sagt Jinara, die mit ihren sechs Kindern die Grenze nach Bangladesch überquert hat.

Jinara kam mit ihren Kindern auf einem Boot nach Bangladesh.
Jinara kam mit ihren Kindern auf einem Boot nach Bangladesh. © Poppy McPherson for BuzzFeed News

Das Überqueren des Naf kann gefährlich sein – mindestens fünf Kinder starben nachdem drei der Boote Anfang September gekentert sind und sanken. Viele Rohingya können nicht schwimmen, darunter die große Mehrheit der Frauen.

Mit vom Weinen geröteten Augen erzählte die 35-jährige Du Na, ebenfalls aus Nu Ru La, wie ihre beiden Eltern ertranken, als ihr Boot sank. Nur sie und ihre drei Kinder haben überlebt.

Das Bootsunglück verschlimmerte die Sorgen der Familie noch. Du Na sagt, ihr Onkel sei von burmesischen Soldaten und einheimischen Buddhisten aus ihrem Zuhause verschleppt und dazu gezwungen worden, sein eigenes Grab zu graben. Sie glaubt, dass er getötet wurde. „Wir haben tagelang geweint“, sagt sie. „Meine Tante weiß nicht, wie sie ihre Töchter ernähren soll.“

Ihre Tante Robida sitzt in einer Ecke des Raumes in Shamlapur neben ihren zehn Töchtern, von denen mehrere still ins Leere blicken. „Ich kann die Fährmänner noch nicht bezahlen, doch manchmal fragen sie nach Geld“, sagt Robida. „Aber sie sind hilfsbereit, manchmal geben sie uns Essen.“

Die Fischer, die die Rohingya von den burmesischen Ufern nach Bangladesch schmuggeln, tarnen ihre Geschäfte als humanitäre Hilfe. Eine Gruppe Bangladeschis läuft am Strand von Shamlapur entlang. „Um Leben zu retten, müssen wir anderen helfen“, sagte einer der Fischer, der 21-jährige Hamid. „Wir fühlen uns gut, weil es hier um Menschlichkeit geht.“

Dutzende von Booten, auf denen Rohingya die Überfahrt aus Myanmar machen, stehen am Strand von Shamlapur.
Dutzende von Booten, auf denen Rohingya die Überfahrt aus Myanmar machen, stehen am Strand von Shamlapur. © Poppy McPherson for BuzzFeed News

Die Männer erklären BuzzFeed News zunächst, dass sie Flüchtlingen kostenlose Überfahrten ermöglichen. Aber als sie auf die Vorwürfe angesprochen werden, dass sie Geld von den Rohingya verlangen, fangen einige von ihnen an, sich wütend zu verteidigen. „Wir müssen Geld ausgeben, um dorthin zu gelangen und sie mitzunehmen“, sagt Hamid.

Er gibt zu, dass er Geld von Rohingya nimmt – jedoch nur von denen, die auch in der Lage sind zu bezahlen, sagt er und kritisiert die Grenzpolizei dafür, dass sie sie in der vergangenen Woche angehalten und mindestens zehn ihrer Boote verbrannt hat.

Die Behörden von Bangladesch haben BuzzFeed News mitgeteilt, dass sie versucht haben, gegen Fischer vorzugehen, die Menschen bedrohen, um ihr Geld für die Flussüberfahrten zu erhalten. Khaled Mahmut, Assistenz-Bezirksrichter von Cox's Bazar, sagt, dass die Stadt 170 Menschen für „Ordnungswidrigkeiten“ im Zusammenhang mit den seit August stattfindenden Schmuggleraktivitäten verurteilt habe. Von diesen hätten 165 Menschen Haftstrafen zwischen drei und sechs Monaten erhalten. Die anderen hätten Bußgelder zahlen müssen.

Tirana Hassan, die Direktorin für Krisenbewältigung bei Amnesty International spricht in Bezug auf die Flüchtlinge, die in die Hände von Schmugglern getrieben werden, von einem Muster.

„Durch die Öffnung von sicheren, legalen Routen für Flüchtlinge könnten die Regierung Bangladeschs und die internationale Gemeinschaft den Verlust weiterer Leben verhindern, statt Flüchtlinge der Gnade der Schmuggler auszusetzen“, schreibt sie in einer E-Mail.

Die Vereinten Nationen erwarten noch viele weitere Flüchtlinge aus Myanmar. „Flüchtlinge, die bereits das Land verlassen haben, berichten uns von zwischen 80.000 und 100.000 weiteren Menschen, die schon auf der Flucht sind und auf eine Gelegenheit warten, den Naf zu überqueren“, sagt Robert Watkins, Resident Coordinator der UNO in Bangladesch, in einer Textnachricht an BuzzFeed News. „Wir machen uns große Sorgen, dass selbst diese Zahl eine Unterschätzung der Gesamtmenge darstellt, die potenziell über die Grenze kommen könnte. Unseres Wissens nach gibt es weiterhin ein militärisches Vorgehen im Norden von Rakhine.“

Watkins sagt, dass die UNO bisher nicht in der Lage war, den Rohingya zu helfen, die von den Schmugglern abhängig sind, da ihre Mitarbeiter keinen Zugang zum Norden der Region haben. „Wenn wir Zugang hätten“, erklärt er, „könnten wir an Ort und Stelle humanitäre Hilfe leisten und die Menschen müssten nicht fliehen und die gefährliche Überfahrt über die Grenze nach Bangladesch machen.“

Zwischenzeitlich betteln die Rohingya in Shamlapur um Geld, nicht nur um ihre Schulden zu begleichen, sondern auch um ihre Familien zu ernähren oder Medikamente zu kaufen.

Begum steht vor der Entscheidung, die Fährmänner zu bezahlen oder Mohammed und Enam die lebensrettende Behandlung im Krankenhaus zu ermöglichen.

„Ich habe immer geglaubt, dass meine Kinder gebildet aufwachsen würden“, sagt sie und erinnert noch einmal daran, dass die Familie in Myanmar genug zum Essen hatte und nicht von anderen abhängig war. „Ich fordere die Welt dazu auf, mir mein Land zurück zu geben.“

Ein Beitrag von Muktadir Rashid mit Berichten aus Dhaka.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch.

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