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Bei diesem Interview ist die BILD-Zeitung offenbar auf eine Hochstaplerin reingefallen

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“Wir können vollumfänglich bestätigen, dass Maria W. ihre Geschichte frei erfunden hat."

Ein Interview mit der angeblichen Geliebten des Co-Piloten Andreas Lubitz, das war für die Bild-Zeitung eine große Schlagzeile, damals, drei Tage nach dem Absturz des Germanwings-Fluges 4U9525 im März 2015, bei dem 150 Menschen starben. "Er drohte: 'Eines Tages wird jeder meinen Namen kennen'", titelte die Bild.

Die Stewardess Maria W. erklärte in der Bild, Lubitz habe ihr gesagt: „Eines Tages werde ich etwas tun, was das ganze System verändern wird, und alle werden dann meinen Namen kennen und in Erinnerung behalten.“ In dem Artikel hieß es: “Fünf Monate lang flogen sie im vergangenen Jahr zusammen durch Europa und übernachteten heimlich gemeinsam in Hotels.”

Die Geschichte schien das Bild des Amokfliegers zu bestätigen, das viele Medien und Ermittler nach dem Absturz der Germanwings-Maschine vor Augen hatten. Doch sie ist offenbar erfunden. Die Bild-Zeitung scheint auf eine Hochstaplerin hereingefallen zu sein. Die Zeit hatte im März erstmals über die Zweifel an Maria W. berichtet – jetzt gibt es durch neue Recherchen von BuzzFeed News erstmals die Bestätigung.

BuzzFeed.de © Screenshot BuzzFeed News / Via bild.de

Schon der zuständige Düsseldorfer Staatsanwalt Christoph Kumpa hatte die Version der Frau wenig später als eine „Ente“ bezeichnet. Die Bild-Zeitung jedoch hielt an ihrer Darstellung fest. Die Frau habe dem Bild-Reporter ein Foto von sich und Lubitz vorgelegt.

Zahlreiche Indizien sprechen gegen die BILD

Ein Bild als Beleg, dem jedoch zahlreiche gegenteilige Indizien widersprechen – und auch die Aussagen von Maria W. selbst. Doch der Reihe nach.

Zunächst die Indizien.

Es kommt so gut wie nie vor, dass Germanwings-Piloten in ausländischen Hotels übernachten. „Bei Germanwings gibt es keine dienstlich geplanten Übernachtungen“, sagte ein Pressesprecher der Fluggesellschaft gegenüber BuzzFeed News. Zudem wechsle die Crew täglich. „Nur in Ausnahmefällen fliegt man mehrere Tage durch Zufall hintereinander.”

Ein weiteres Indiz gegen die Behauptung von Maria W. findet sich im Anhang eines Gutachtens, das BuzzFeed News vorliegt. Familie Lubitz hatte es erstellen lassen und vor wenigen Tagen verschiedenen Behörden zugeschickt.

Das Lubitz-Flugbuch, komplett ausgewertet

Das Indiz ist die Rekonstruktion des Flugbuches des Copiloten. Es enthält alle seine Einsätze für den Zeitraum März 2014 bis zum Unfalltag am 24. März 2015, einschließlich der Kennungen der geflogenen Maschinen. Die Angaben wurden für das Gutachten anhand der Dienstpläne, die die Germanwings den Behörden übermittelt hat, sowie den Aufzeichnungen von Lubitz selbst rekonstruiert.

Daraus ergibt sich, dass Lubitz nach seinen Diensttagen immer wieder in seinen Heimatflughäfen landete – das war zunächst Köln/Bonn und dann Düsseldorf. Dort hatte er mit seiner langjährigen Lebensgefährtin eine gemeinsame Wohnung. Die beiden wollten heiraten und ein gemeinsames Kind. An sechs Tagen im Sommer 2014 startete und landete Lubitz von Dortmund, kaum 50 Minuten von Düsseldorf entfernt. An drei Gelegenheiten (25.-26. Januar, 9.-10. März sowie 1.-2. Juni) war er abends in Berlin, wo sich einer der Simulatoren der Lufthansa-Flugschulen “Pilot Training Network” befindet.

Vom 27. bis 30. April sowie vom 3. bis 5. Mai 2014 hatte er nach einem Einsatz auf einem Passagierflugzeug eine dienstliche Übernachtung in einem Hotel in Hannover, vom 5. bis 9. Juni 2014 in Hamburg. Andreas Lubitz ist in dem gesamten Jahr, in dem er bei Germanwings als Copilot beschäftigt war, der Auswertung von Gutachter van Beveren zufolge nur mit drei Stewardessen überhaupt mehr als einmal gemeinsam geflogen. Die Polizei hätte die Identitäten anhand der vorliegenden Daten ermitteln können, was aber nicht geschehen ist.

BuzzFeed.de © Screenshot BuzzFeed News

In diesem Jahr hat Lubitz auch nur einmal dienstlich im Ausland übernachtet – in Budapest. Dazu heißt es im Flugbuch: “Proceeding”. Laut Gutachter van Beveren wurden auf diesem Flug außerplanmäßig Ersatzteile transportiert und keine Passagiere. Deswegen sei auch keine Kabinenbesatzung an Bord gewesen.

Aber kann Lubitz nicht trotzdem, auch ohne Übernachtungen, eine heimliche Geliebte gehabt haben?

Angebliche Geliebte meldete sich bei RTL

Eine “Maria W.” hat sich Ende Juli 2015 auch beim Sender RTL gemeldet. Sie schickte eine anonyme Mail an die Zuschauerredaktion und bot ihre Geschichte an. Über fünf Monate recherchierten die Redakteure ihre Geschichte, es kam zu vier Treffen. Dann überführten sie die angebliche Maria W. nach eigener Aussage der Lüge. “Wir können vollumfänglich bestätigen, dass Maria W. ihre Geschichte frei erfunden hat. Dies hat sie bei einem 4. Treffen im Dezember 2015 explizit zugegeben”, schreibt RTL-Pressesprecher Matthias Bolhöfer auf Anfrage von BuzzFeed News.

Thorsten Wimber, Abteilungsleiter bei RTL, schildert die Recherche seiner Kollegen. “Sie wollte uns anfangs ihren Klarnamen nicht verraten und sich nur auf neutralem Terrain treffen, in einer Bar in Frankfurt, und nur mit einer Frau. Wir schickten eine Kollegin. Ihr Eindruck war: Maria W. ist glaubwürdig.”

Gefälschte Lubitz-Unterschrift

RTL verlangte allerdings Belege für ihre Identität. Die habe sie nur zögerlich herausgegeben: Auf ihrem Arbeitsvertrag und dem Personalausweis überklebte sie ihren Namen. An Hoteladressen konnte sie sich nicht mehr erinnern. Fotos, die sie mit Andreas Lubitz zeigten, besaß sie nicht, und das einzige verfügbare habe sie der Bild-Redaktion übergeben. “Obwohl eine Lubitz-Unterschrift auf einem vermeintlichen Darlehensvertrag sich als Fälschung entpuppte, wirkten andere Teile ihrer Geschichte und einige Angaben weiterhin überzeugend beziehungsweise möglicherweise stimmig – weshalb wir weiter in Kontakt blieben.”

Als Maria W. dann ihren echten Vornamen preisgab, suchte Wimber im Netz nach ihr. Er fand eine passende Person, eine PR- und Booking-Managerin. Als er die vermeintliche Flugbegleiterin damit konfrontierte, legte Maria W. E-Mail- und Chatprotokolle zwischen ihr und Lubitz vor. “Aber unsere Zweifel wuchsen. Sie konnte auch keine Zeugen benennen.”

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RTL erkundigte sich schließlich bei der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft: Die Behörde, schreibt der Sender, riet dem Sender von einem Interview mit Maria W. ab.

Angebliche Geliebte entschuldigt sich für Lüge

Wimber sagt, die Frau habe sich bei dem letzten Treffen auch entschuldigt. “Sie sagte uns, sie sei überrascht gewesen, wie viel Arbeit wir uns mit der Recherche gemacht haben. Dabei ist das für uns normal.” Der Redakteur habe ihr auch gesagt, sollte sie sich noch einmal an ein Medium wenden, werde er den Vorgang öffentlich machen. "Denn das war ganz klar Betrug."

Die Pressestelle der BILD-Zeitung bittet auf Anfrage von BuzzFeed News um Verständnis, “dass wir uns zu Quellen und redaktionellen Abläufen grundsätzlich nicht äußern”. Mit Sorge sehe die Redaktion jedoch den Versuch, “mit Hilfe angeblicher Mutmaßungen Dritter die Berichterstattung über den Massenmord von Herrn Lubitz an 149 unschuldigen Menschen insgesamt in Frage stellen zu wollen.” Der Düsseldorfer Staatsanwalt habe mitnichten erklärt, dass die BILD-Zeitung die Geschichte über Maria W. erfunden hat. “Insofern sehen wir auch keine Notwendigkeit zur Korrektur, sondern werden an der Berichterstattung über die schreckliche Amoktat von Herrn Lubitz festhalten.”

Dabei hat niemand behauptet, dass die Bild-Zeitung die Geschichte erfunden hat. Staatsanwalt Christoph Kumpa hat vielmehr gesagt, dass er “erhebliche Zweifel habe und davon ausgehen müsse, dass die Frau die Geschichte erfunden hat”. Diese Zweifel haben sich nun wohl bestätigt.

UPDATE

21.06.2017, 09:08

Bei diesem Text haben wir die zunächst missverständliche Überschrift geändert. Die ursprüngliche Überschrift des Textes lautete: „Dieses BILD-Interview über Germanwings-Pilot Andreas Lubitz ist offenbar erfunden.“ Bei dieser Überschrift hätte jedoch die Vermutung aufkommen können, dass die BILD das Interview erfunden hat – und nicht die interviewte Maria W. die BILD belogen hat. Deshalb haben wir die Überschrift entsprechend angepasst, um deutlich zu machen, dass die BILD offenbar auf eine Hochstaplerin hereingefallen ist. Am Artikel selbst hat sich nichts geändert.

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