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So trieb der Vergewaltigungs-Vorwurf gegen einen einflussreichen Mann eine Studentin in den Selbstmord

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BuzzFeed.de © Corey Brickley for BuzzFeed News

Eine College-Studentin aus Alabama erzählte der Polizei, dass sie sexuell missbraucht worden sei und dachte, sie würde damit genau das Richtige tun. Nur kurze Zeit später beging sie Selbstmord.

TUSCALOOSA, Alabama - Megan Rondinis Freunde und Familie erinnern sich oft an ihren eisernen Sinn für Recht und Unrecht. Ihr Spitzname während der Kindheit war „Regel-Rondini“, weil sie sich bei Gesellschaftsspielen immer besonders genau an die Spielregeln hielt. Als Studentin an der University of Alabama in Tuscaloosa wurde sie unter anderem dafür ausgezeichnet, dass sie betrunkenen Frauen eine Mitfahrgelegenheit anbot, die alleine durch die Nacht nach Hause liefen – selbst nachdem sich eine von ihnen auf dem Rücksitz ihres Autos übergab.

Als sich Megan in einer Nacht im Juli 2015 in genau so einer Situation wiederfand, gab es niemanden, der ihr Hilfe anbot. Abgesehen von einem wohlhabenden Geschäftsmann, den sie nur als „Sweet T“ kannte. Der 34-Jährige erzählte den Behörden später, dass er und ein Freund die 20-jährige Megan alleine durch Tuscaloosa Downtown gehen sahen und sie deshalb nach Hause fahren wollten. Megan konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie sie im weißen Mercedes von Sweet T landete, auf dem Weg in seine kunstvolle Villa, die mit auserlesenen Jagdtrophäen geschmückt ist – von Elefanten mit riesigen Stoßzähnen über großmäulige Nilpferde bis hin zu ausgestopften Löwen und Leoparden. Allerdings sagte Megan später der Polizei, dass sie nüchtern genug gewesen sei, um zu wissen, dass sie keinen Sex mit ihm haben wollte, als er ihr den Weg in sein Schlafzimmer zeigte – sie sagte außerdem, dass Sweet T das ebenfalls hätte wissen müssen.


Es gibt keine offizielle Anleitung dafür, wie eine Vergewaltigung anzuzeigen ist. Nach Informationen des sogenannten National Crime Victimization Survey ist es die Straftat, die am wenigsten gemeldet wird, was bedeutet, dass die meisten Opfer überhaupt gar keine offizielle Anzeige erstatten. Es gibt allerdings zwei Dinge, die allgemeinhin von Frauen erwartet werden, die glauben sexuell missbraucht worden zu sein: In ein Krankenhaus gehen und die Polizei rufen. Eine Freundin sagte den Ermittlern, dass sie ihr eine Frage stellte, nachdem sie Megan in der selben Nacht abholte: „War es einvernehmlich? Also, wolltest du?“ Nein, sagte Megan ihr. Sie wollte nicht.

Megan Rondini im August 2014.
Megan Rondini im August 2014. © Mit freundlicher Genehmigung der Rondini-Familie

Obwohl es mitten in der Nacht und Megan gerade vor Sweet T geflüchtet war, wofür sie aus einem Fenster im zweiten Stock seiner Villa kletterte musste, fuhren sie für eine medizinische Untersuchung in ein Krankenhaus. Anstatt zu schlafen, traf sie sich danach außerdem mit einem Polizeibeamten und erzählte ihm, was passiert war. Megan kam es nie in den Sinn, dass wenig später sie selbst zur Angeklagten werden sollte und dass die Ermittler Sweet T – der mit richtigem Namen T.J. Bunn Jr. heißt und der Sohn einer einflussreichen Familie aus Tuscaloosa ist – als wahres Opfer dieser Nacht sehen würden. Aber genau das ist passiert.

Bunn behauptete, dass er und Megan sehr wohl einvernehmlichen Sex gehabt hätten. In einer überlieferten Stellungnahme seines Anwalts ließ Bunn wiederholt mitteilen, dass er noch nie wegen einer Straftat angeklagt wurde und es darüber hinaus „unangemessen sei, noch mehr über eine junge Frau zu sagen, die sichtbar aufgewühlt war und das Kummer für eine Familie bedeuten würde, die mit Trauer zu kämpfen hat.“ Alabamas veraltetes Vergewaltigungsgesetz setzt voraus, dass Opfer beweisen können, dass sie ernsthaft Widerstand gegen ihren Angreifer geleistet haben – und Megans Ermittler entschied sich nach ihrer Befragung schnell dafür, dass sie sich nicht gegen Bunn zur Wehr gesetzt hatte. Sie hatte ihn nicht „getreten oder geschlagen“, begründete er diese Entscheidung. Die Schlussfolgerung seiner Ermittlungen war, dass keine Vergewaltigung stattgefunden hatte. Stattdessen fing er damit an, eine Anklage gegen Megan vorzubereiten, indem er ihr Fragen zu mehreren Verbrechen stellte, von denen Megan nicht mal wusste, sie jemals begangen zu haben.

„Letzten Endes frage ich mich, was ich wohl hätte erreichen können, hätte ein einziger Mann nicht mein ganzes Leben zerfetzt.“

Als Megan später versuchte Zivilklage einzureichen, musste sie lernen, dass der einzige Weg, ein mögliches Strafverfahren wegen ihrer eigenen Verbrechen zu vermeiden, darin bestand, die Anklage komplett fallen zu lassen. Als Megan sich an der University of Alabama beraten lassen wollte, sagte ihr die Therapeutin, dass sie die Bunn-Familie kenne und ihr deshalb nicht helfen könne. Schließlich entschieden Megan und ihre Familie, dass es für sie in Tuscaloosa nicht mehr sicher war. Noch vor Ende des Herbstsemesters verließ sie die Uni.

Megans Fall war komplex. Andererseits sind das die meisten Anschuldigungen nach sexuellen Übergriffen. Es gibt kaum Zeugen und die Opfer von Gewalteinwirkungen haben oftmals nur bruchstückhafte und unvollständige Erinnerungen, sodass Polizeibeamte ohne spezielle Schulungen manchmal an den geschilderten Ereignissen zweifeln – insbesondere wenn Alkohol im Spiel ist. Den Daten der Polizeibehörden nach gehen die meisten Fälle von Vergewaltigung nicht vor Gericht. Das gilt für die gesamten USA, aber auch für Tuscaloosa selbst.

„Sie hat alles in ihrer Macht stehende getan, sich selbst zu schützen und Hilfe zu bekommen“, erzählt Megans Vater, Mike Rondini. „Sie hätte diese Hilfe bekommen sollen, aber dazu kam es nicht. In diesem Punkt haben alle versagt.“

Mit einer frisch diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung kehrte Megan Tuscaloosa den Rücken. In den folgenden Monaten wurde nicht nur ihre Depression stärker, sondern auch das Gefühl der Enttäuschung.

„Letzten Endes frage ich mich, was ich wohl hätte erreichen können, hätte ein einziger Mann nicht mein ganzes Leben zerfetzt,“ schrieb Megan einer Freundin im Februar 2016. Zwei Tage später erhängte sie sich.

Bryant-Denny Stadium, Austragungsort der Heimspiele der Crimson Tide, fotografiert im Februar 2017
Bryant-Denny Stadium, Austragungsort der Heimspiele der Crimson Tide, fotografiert im Februar 2017 © Cameron Carnes für BuzzFeed News

Das Leben in Tuscaloosa, wo 95.000 Menschen wohnen, dreht sich hauptsächlich um die University of Alabama, der am schnellsten wachsenden Vorzeige-Universität des Landes. Die UA ist insbesondere für ihr Football-Team bekannt, die Crimson Tide, die nicht nur als das beste College-Team des Landes gehandelt werden, sondern auch als das beste aller Zeiten. Einerseits hilft der Football der UA, Elite-Studenten anzulocken und Spenden in Millionenhöhe zu sammeln, andererseits ist Tuscaloosa aber auch eine „große Kleinstadt“, wo jeder jeden kennt. Fast jeder hat von den Bunns gehört, deren 80-jähriges Familiengeschäft - ST Bunn Construction - an großen Projekten im ganzen Staat beteiligt ist und welches vermutlich jede Straße der Stadt gepflastert hat.

Die Bunn-Brüder Sonny und Terry, die aktuell das Business leiten, waren die größten Spender für den ehemaligen Gouverneur Robert J. Bentley. Dieser trat kürzlich lieber zurück, als einem Amtsenthebungsverfahren ins Auge zu blicken, nachdem ihm vorgeworfen wurde, mit Staatsgeldern eine Affäre zu seiner Referentin zu verschleiern. Terry Bunn, der Vater von T.J. Bunn, war sogar Teil von Bentleys politischem Übergangsteam. Er steht außerdem auf der Liste für das „Präsidenten-Kabinett“ der UA, in das Alumni nur auf Einladung eintreten dürfen und welches den Präsidenten der Universität berät. ST Bunn Construction behauptet, beim Bau des Trainingsfeldes der Tuscaloosa Crimson Tide mitgeholfen zu haben und die Brüder gehören einer Förderer-Stiftung an, die den Hausbau des gefeierten UA Football-Coaches mit 3,1 Millionen US-Dollar mitfinanzierte. Flugaufzeichnungen zeigen außerdem, dass der Privatjet der Bunns im letzten Herbst häufig in der Nähe von Auswärtsspielen der Crimson Tide landete.

Megan Rondini wuchs weit entfernt vom Einzugsgebiet der Crimson Tide auf, in einem grünen Vorort von Austin in Texas. Sie war eine gewissenhafte Vegetarierin, die „eher Pferde als Menschen bevorzugte“, erzählt ihre Mutter Cindy Rondini. Ihre Eltern waren überrascht, als sie sich an der University of Alabama einschrieb. Noch überraschter waren sie, als sie einer Studentinnenverbindung beitrat.

„Megan wollte ihre Komfortzone verlassen,“ sagt Cindy. „Sie sah das College als eine Art Neustart.“

Der Innisfree Irish Pub
Der Innisfree Irish Pub © Cameron Carnes für BuzzFeed News

Megan bekam ein Ehrenstipendium für die UA und sie lernte fleißig, ergatterte einen Platz in einem speziellen Programm für MBA-Leistungsträger im MINT-Fachbereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) und arbeitete nach den Vorlesungen in einem Labor, in dem an Alzheimer geforscht wird. Im Sommer bevor das dritte College-Jahr startete, blieb sie für einige zusätzliche Vorlesungen in Tuscaloosa. Am 1. Juli 2015 besuchte sie mit einigen Verbindungsschwestern das Kneipenquiz im Innisfree Irish Pub. Wie so oft, sah sie Bunn in der Bar – ST Bunn Construction befindet sich gleich auf der gegenüberliegenden Straßenseite – doch die beiden sprachen nicht miteinander. Später erzählte sie den Ermittlern, dass sie sich nur ein Mal zuvor mit ihm unterhalten hätte, als er sich ihr und einer Freundin im vergangenen November als Sweet T vorstellte. Danach hatten sie sich lauthals über den gut angezogenen Kerl gewundert, der ihnen Bier spendierte. Ein Fremder, der zufällig mithörte, lehnte sich zu ihnen rüber und sagte: „Er ist einer der reichsten Männer in Tuscaloosa.“

Megan, die ungefähr 1,70 m groß ist und knapp 60 kg wiegt, sollte den Ermittlern später erzählen, dass sie etwa fünf Gläser Bier getrunken hatte – was ihrer Erfahrung nach nicht ausreichte, um betrunken zu sein. Doch irgendwie hatte sie einen Blackout, erzählte sie außerdem. Als sie wieder zu sich kam, war es schätzungsweise Mitternacht, sie saß in Bunns brandneuem Mercedes und er und sein Kumpel fuhren zu Bunns ungefähr 20 Minuten entfernten Haus.

Bunn hat sandbraune Haare, ein Bubigesicht und eine piekfeine Garderobe: In der Nacht, in der er Megan mitnahm, trug er Khaki-Hosen und Schuhe aus Krokodilleder. Dann und wann wird von ihm behauptet, ein „Mitarbeiter“ von ST Bunn Construction zu sein, obwohl niemand so genau weiß, was genau er dort eigentlich macht. Ein Nachrichtenreport aus Tuscaloosa von 2012 konzentriert sich auf Bunns Leistungen als Jäger – er hat sogar mal die afrikanischen Big Five erlegt – nachdem der ehemalige Gouverneur Bentley ihn in den Beirat zur Erhaltung der Natur in Alabama bestellte. Ansonsten gibt es allerdings keine Informationen über ihn, abgesehen von einigen Festnahmen aufgrund von Alkohol am Steuer in 2013. Die entsprechenden Polizei-Unterlagen zeigen, dass Bunn den Leiter der Abteilung für Öffentliche Sicherheit in Alabama verklagte, nachdem ihm sein Führerschein entzogen wurde. Die Begründung: Es würde „ein irreparabler Schaden“ entstehen, wenn er keinen Führerschein habe, weil er dann „nicht in der Lage wäre zur Arbeit zu fahren und dadurch seinen Job im Familienbetrieb verlieren würde.“ Bunn bekam seinen Führerschein zurück.

Megan war von Bunn eingeschüchtert, sagte sie später den Ermittlern. So sehr, dass sie nicht versuchte, ihn zu stoppen, als er zu seinem Haus fuhr, obwohl „er betrunken war und mich das beunruhigte.“ Sie betraten die im Kolonialstil erbaute Villa mit den aufgehängten Köpfen und den gegerbten Fellen Dutzender Tiere, von Zebras und Nilpferden über Antilopen zu Bären. Sogar ein Kronleuchter war aus einem Geweih gefertigt.

Das Familienhaus der Bunns.
Das Familienhaus der Bunns. © Cameron Carnes für BuzzFeed News

Megan erzählte den Ermittlern, dass Bunn seinen betrunkenen Kumpel ins Bett brachte und ihr sagte, sie solle in sein Zimmer gehen. Sie erzählte, dass sie das auch tat, sich aber auf eine Couch neben der Tür setzte, so weit wie möglich von seinem Bett entfernt, auf dem Kissen mit einem Monogramm bestickten „B“ lagen. Bunn kam herein und sagte ihr, dass er Sex haben wolle. Das war der Zeitpunkt, an dem Megan ihm sagte, dass sie jetzt gehen müsse, während sie „versuchte so nett wie möglich“ zu ihm zu sein, weil „sie wisse, dass er eine einflussreiche Person in Tuscaloosa ist.“

„Ich sagte, dass ich jetzt wirklich gehen müsse, weil Freunde auf mich warten“, erzählte sie der Polizei beim ersten Verhör im Krankenhaus. „Das akzeptierte er nicht wirklich.“ Letzten Endes, sagte Megan, „hatte ich das Gefühl, dass Sex mit ihm die einzige Möglichkeit war, damit er mich wieder gehen lässt.“

Bunn führte sie zu seinem Bett und zog ihre Shorts zur Seite, während sie ihn keines Blickes würdigte, erzählte sie den Ermittlern. In ihrer Anzeige sollte später stehen, dass sie ihn „wörtlich darauf hingewiesen habe, keinen Sex, sondern lieber zurück zu ihren Freunden ins Innisfree zu wollen“, er jedoch „diese Aussagen ignorierte und den Geschlechtsverkehr mit ihr fortsetzte.“ Danach war Bunn wie weggetreten, sodass sie sich sicher fühlte, das Haus zu verlassen, sagte sie. Doch egal wie sehr sie es auch versuchte, seine Tür ließ sich einfach nicht öffnen. Gegen 1 Uhr nachts fing sie an, einige Freunde per Text um Hilfe zu bitten.

„OMG“, stand in einer Nachricht, „Ich komme nicht aus diesem Zimmer raus.“ Megan erzählte der Polizei, dass sie in einem Anflug von Panik durch Bunns Fenster im zweiten Stock geklettert, erst auf ein Tor und dann auf die unbekannte dunkle Straße gesprungen sei. Als sie dann aber bemerkte, dass ihre Schlüssel fehlten, begann sie verzweifelten danach zu suchen und schließlich sogar zurück durch das Fenster in sein Zimmer und dann erneut hinaus zu klettern. Danach durchsuchte sie Bunns Mercedes, wo sie seine Geldbörse und eine Pistole fand.

Megan „hatte das Gefühl, dass Sex mit ihm die einzige Möglichkeit war, damit er mich wieder gehen lässt.“

Sie schnappte sich drei Dollar, falls sie ein Taxi rufen müsste, sowie „zur eigenen Sicherheit“ die Waffe, erzählte sie den Ermittlern. Megan wüsste überhaupt nicht, wie genau Waffen eigentlich funktionieren, erklärte sie später. Aus Versehen löste sich sogar ein Schuss, bevor sie die Pistole auf den Boden legte. Glücklicherweise holte sie dann schließlich eine Freundin ab. Gegen 2:40 Uhr trafen sie am örtlichen Krankenhaus in Tuscaloosa ein.

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BuzzFeed.de © Corey Brickley für BuzzFeed News

Im Gegensatz zur Vorstellung, die Zuschauer von Law & Order: SVU eventuell haben, sind Spezialeinheiten zur Aufklärung von Sexualverbrechen für die Polizei-stationen in den USA noch immer Neuland. Tuscaloosa hat keine. Im Fall sexueller Übergriffe ermittelt das behördenübergreifende Morddezernat und schlussendlich liegt die Entscheidung, ob in den unterschiedlichen Verbrechensfällen ein Urteil gefällt wird, beim Großen Geschworenengericht. Gemäß den Aufzeichnungen des Morddezernats, die alle sexuellen Verstöße zwischen 2011 und 2016 betreffen, wird in Fällen mit sexuellen Gewalttaten nur selten ein Urteil gefällt. Der Stand im Februar war, dass nur zehn von insgesamt 98 Fällen mit sexuellen Übergriffen aus dem Jahr 2016 vom Großen Geschworenengericht angehört wurden. 2015 waren es 12 von 124 (diese Zahlen beinhalten nicht die Dutzenden noch immer laufenden Verfahren).

Die Bezirksstaatsanwaltschaft konnte keine Informationen darüber geben, wie viele Fälle von sexuellen Übergriffen in Tuscaloosa zur Anklage gebracht wurden, weil die Aufzeichnung mit einem Computerprogramm erst spät im letzten Jahr begann.

„Es ist mir überaus peinlich zu gestehen, dass wir es einfach nicht wissen“, sagt der stellvertretende Leiter Jonathan Cross, „was natürlich wie ein blaues Auge für unser Büro ist.“

Nach Informationen von Captain Gary Hood, Leiter des Morddezernats von Tuscaloosa, sind ungefähr 40 bis 50 Prozent der gemeldeten Sexualverbrechen in der Stadt mit „besonderer Überprüfung“ gekennzeichnet – eine Polizei-Bezeichnung für die Fälle, „in denen sich das Opfer nicht genau daran erinnern kann, was oder ob überhaupt etwas passiert ist“ oder die Beschwerde nicht den Kriterien für eine Anklage unter Staatsrecht entspricht. Hood behauptet, dass diese Fälle genauso wie ernsthafte sexuelle Übergriffe behandelt würden, doch seine Beispiele waren zweifelhaft. Einer dieser Ausnahmefälle: „Eine Frau wacht nach einer Nacht voller Drinks im Haus eines Freundes auf. Sie weiß nicht, ob sie sexuell misshandelt wurde, aber nur zur Sicherheit gibt sie eine Anzeige auf.“

Besondere Überprüfungen gibt es zudem nicht nur bei Anzeigen von sexuellen Übergriffen, sagt Hood, was er mit weiteren Beispielen erklärt: „Eine Person wacht nach einer Nacht voller Drinks auf und bemerkt eine Wunde am Arm. Soll das nun als Körperverletzung aufgenommen werden oder hat sich die Person auf dem Weg nach Hause selbst verletzt?“ Zu diesen Fällen zählt auch, führt er weiter aus, wenn jemand Zuhause das Fehlen von Schmuck bemerkt, obwohl es keine Einbruchsspuren gibt. „Soll das nun als Diebstahl gewertet werden oder hat sich einfach ein Familienmitglied bedient, ohne vorher zu fragen?“

Letzten November sagte Hood den Tuscaloosa News, dass 2016 insgesamt 27 UA-Studenten eine Anzeige aufgrund sexueller Gewalt aufgeben hätten, es aber nur zwei Festnahmen gab. Umfassend anerkannte Studien haben ergeben, dass falsche Vergewaltigungs-Vorwürfe nicht häufiger gemacht werden als bei jeder anderen Straftat. Doch obwohl Hood hoffe, dass sich nur „echte Opfer eines Verbrechens“ an das Dezernat wenden, gebe es doch „zahlreiche Gründe“, warum Studentinnen Falschaussagen über eine Vergewaltigung machen.

„Viele von denen haben Probleme in ihren Kursen und hoffen, auf diese Art und Weise von der Universität etwas Hilfe bei ihren Noten zu bekommen“, sagt er.

Megans Durchschnittsnote von etwa 1,3 hielt die Beamten allerdings nicht davon ab, ihre erste Anklage mit dem Terminus „besondere Überprüfung“ zu kennzeichnen. Sie wusste nicht, dass bereits an ihr gezweifelt wurde, als sie am Morgen nach ihrer Krankenhausentlassung zu einem zweiten Gespräch zur Polizeistation ging, obwohl sie nicht geschlafen hatte. Sie zog ein Oversize-T-Shirt an, trug ihre Haare zum Pferdeschwanz gebunden und brachte zwei handgeschriebene Seiten mit – um keine Details zu vergessen.

Es dauerte etwa 21 Minuten, dann hatte Megan dem Ermittler Adam Jones ihre Seite der Geschichte erzählt – inklusive dem Fund der Waffe in Bunns Auto, als sie nach ihrem Schlüssel suchte. Eine Videoaufzeichnung dieses Gesprächs zeigt, dass Jones abrupt den Raum verließ, nachdem Megan die Waffe erwähnte. Danach war der Ton der Befragung ein anderer. In den darauffolgenden Stunden verließ er den Raum immer wieder und wenn er zurückkam, stellte er Megan Fragen zu ihrem Verhalten in der vergangenen Nacht, anstatt sich auf ihre Vergewaltigungs-Vorwürfe zu konzentrieren.

Jones erzählte Megan beispielsweise, dass Bunn behauptet hatte, er und sein Kumpel hätten in ihrer Wohnung einen Zwischenstopp für ein paar Drinks eingelegt: Ob sie sich daran erinnere? Ganz und gar nicht, entgegnete Megan völlig geschockt, bevor sie ihm ihr Telefon übergab, um ihre Bewegungen zu tracken. In der Tat bestätigte ihr Bewegungsprofil, dass Bunn sowie sein Freund und auch Megan ihrer Wohnung einen Besuch abstatteten, bevor sie zu ihm fuhren. Megan bestand darauf, dass sie sich daran keineswegs erinnern könne.

Studien beweisen, dass Opfer von Traumata nur bruchstückhafte Erinnerungen zu den Vorfällen haben. Im Falle solcher Gedächtnislücken bei sexuellen Übergriffen raten die Richtlinien der internationalen Vereinigung der Polizeichefs in Betracht zu ziehen, dass wohlmöglich Drogen im Spiel waren. Allerdings wurde weder Megans Blut noch ihr Urin jemals darauf getestet, wie die Landesjustizverwaltung anmerkt, wo solche toxikolo-gischen Befunde einlaufen und die keine Informationen zu Megans Fall hat (Hood sagt, dass wäre darum so, weil Megan „zugegeben hatte, freiwillig Alkohol getrunken zu haben“ – obwohl sie den Ermittlern auch erzählte, ihrer Meinung nach nicht genug Alkohol getrunken zu haben, um einen Blackout zu bekommen). Es ist nicht mal sicher, ob vom Krankenhaus die für einen forensischen Test nötigen Blut- und Urinproben entnommen wurden, als Megan nach ihrer Vergewaltigung untersucht wurde. Ein Sprecher des Krankenhauses verweigerte einen Kommentar zu Megans Fall. Er sagte jedoch, dass im Krankenhaus keine Schwestern angestellt seien, die speziell für das Sammeln von forensischen Beweisen ausgebildet wurden.

Nach zwei Stunden der Befragung sagte Megan der Studentenberaterin des Frauen-zentrums der Universität, die sie zur Polizeistation begleitet hatte, dass sie gehen könne. Ängstlich und müde ging sie im Verhörraum alleine auf und ab. Irgendwann schrieb sie einer Freundin, dass Jones irgendwie verärgert über die Waffe sei.

„Sobald ich ihm das sagte, verließ er den Raum und als er wieder rein kam, meinte er zu mir, dass kleine Kinder sich damit erschießen könnten“, schrieb sie. „Ich kotze gleich, ich hasse das hier.“

„Sei einfach total offen und ehrlich und dann wird schon alles gut“, schrieb ihre Freundin zurück. „Du hast nichts falsch gemacht.“

Ungefähr um zwei Uhr mittags, knapp zwölf Stunden nachdem Megan ihren Vorfall das erste Mal meldete, sagte ihr Jones, dass sie „dicht dran“ wären, aber noch einige andere Angelegenheiten zu klären hätten.

„Bevor ich dir weitere Fragen stelle: Gibt es irgendeinen Grund, warum du das getan hast, was du getan hast?“, fragte er Megan.

„Was meinen Sie?“, sagte Megan.

„Bevor wir mit dem Verhör weitermachen, musst du mir sagen, was dein Grund hinter deinen Taten war“, sagte er.

Megan starrte Jones an, während er ihr ihre Rechte auf eine Aussageverweigerung sowie einen Anwalt vorlas. Danach fragte er sie, warum sie Bunns Waffe genommen hatte. Er sagte es Megan nicht direkt, aber nachdem sie den Raum als mutmaßliches Opfer betreten hatte, war sie nun außerdem eine verdächtige Täterin.

Video von Megan Rondinis Verhör am 2. Juli 2015

„Ich wollte doch niemanden damit verletzen“, sagte Megan unter Tränen. „Ich habe die Waffe nur genommen, um mich schützen. Ich esse kein Fleisch, ich könnte niemals etwas töten. Selbst wenn es zu einer solchen Situation gekommen wäre, hätte ich die Waffe nicht benutzen können.“

Schließlich kam Jones wieder auf Megans Vergewaltigungs-Vorwürfe zurück: „Deinen Aussagen nach, hast du dich ihm nie widersetzt“, sagte er.

„Ich habe mich widersetzt“, sagte Megan und zählte alles auf, was sie unternommen hatte – dass sie Bunn mehrfach darauf hingewiesen habe, gehen zu wollen, bis zu dem Punkt als er sie küsste und sie sich von ihm wegdrehte. „Ich wollte nach Hause“, sagte sie. „Er brachte mich nicht nach Hause.“

„Versuch, es von meiner Seite aus zu sehen“, antwortete Jones ruhig. „Du hast ihn niemals getreten oder geschlagen oder versucht, dich zu wehren.“

Ein paar Minuten später sagte Megan, dass sie gar nicht mehr wisse, ob sie überhaupt Anklage erheben wolle.

„Ich will damit abschließen“, sagte sie. „Ich will einfach mein Leben zurück.“

Daraufhin reichte Jones ihr ein Formular zur Verweigerung der Strafverfolgung zum unterschreiben.

„Versuch, es von meiner Seite aus zu sehen. Du hast ihn niemals getreten oder geschlagen oder versucht, dich zu widersetzen.“

Nach Informationen von BuzzFeed News, die sich auf Daten des Morddezernats stützen, unterschrieben ein solches Formular in Tuscaloosa zwischen 2011 und 2016 mehr als 40 Prozent derjenigen, die eine Beschwerde wegen eines sexuellen Übergriffes eingereicht hatten.

Es gibt viele Gründe dafür, dass jemand den Stopp einer Ermittlung bevorzugt, sagt Jones: „Beispielsweise kenne ich viele Fälle, wo Leute zuerst unheimlich sauer auf eine andere Person waren, dann aber ihre Meinung änderten.“ Die internationale Vereinigung der Polizeichefs rät allen Beamten allerdings, die Opfer nicht zu einer Entscheidung zu drängen, während in einem Fall aktiv ermittelt wird. Das zu tun sei „ein Fehlverhalten“ und würde „vermutlich jeder Behörde schaden“, soweit die offiziellen Richtlinien.

Megan sagte Jones schließlich, dass sie die Anklage nicht fallen lassen wolle. Sie wolle vielmehr, dass ihre Vorwürfe öffentlich gemacht werden.

„Ich habe nur Angst davor, dass irgendjemand irgendwann erneut in diese Situation kommen könnte… mit ihm“, so ihre abschließenden Worte.

Das Polizeibüro von Tuscaloosa
Das Polizeibüro von Tuscaloosa © Cameron Carnes for BuzzFeed News

Bunn trug eine Khaki-Hose sowie ein Hemd und hatte seinen Anwalt dabei, als er sich am darauffolgenden Montag für sein Verhör mit den Ermittlern traf. Beide Männer kamen gerade von einem Angelausflug zurück.

„Ich suche euch was Größeres“, sicherte ihnen Ermittler Josh Hastings zu, als alle drei in einem kleinen Raum zusammenkamen. Nach einem ausgelassenen Smalltalk über das Angeln – die Schnapper bissen an – fing Hastings mit seinem Verhör an. Nein, in der Nacht, in der sie alleine auf dem Weg nach Hause war und er sie einsammelte, hatte Bunn Megan vorher nicht im Innisfree gesehen. Ja, er hatte getrunken, aber nicht sehr viel. Megan habe ihn und seinen Kumpel zu sich nach Hause eingeladen, wo sie ihnen Drinks mixte und sich dann dazu entschied, in seine Villa zu fahren, wo sie nach Bunns Aussage „beide entschieden, einvernehmlichen Sex zu haben.“ Danach sei er einge-schlafen. Als nächstes erinnere er sich nur daran, wie Polizisten an seiner Tür klingelten. Später, so erzählte er weiter, habe er feststellen müssen, dass jemand seine Pistole abgefeuert hatte (er sei nicht sicher, ob irgendwas getroffen wurde) und dass jemand seine Geldbörse durchsucht habe.

„Es gibt da etwas… ich muss die Frage stellen… sie muss gestellt werden“, sagte Hastings ein wenig zögerlich. Warum habe er gesagt, dass er in der Nacht zuvor allein gewesen sei, als die Polizisten am frühen Dienstagmorgen vor seiner Tür standen?

„Um komplett ehrlich mit Ihnen zu sein, konnte ich mich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr daran erinnern“, sagte Bunn.

„Eingeschüchtert gewesen?“, fragte Hastings.

„Natürlich, aber ja“, sagte Bunn. „Ich bin noch immer eingeschüchtert.“

„Sie haben nachgedacht und dann ist Ihnen wieder eingefallen, dass sie bei Ihnen war“, sagte Hastings.

„Richtig“, sagte Bunn.

Ein paar Momente später erinnerte sich Bunn erneut daran, dass Megan eine „sehr willige Partnerin“ gewesen sei.

Als Hastings für einen Moment den Raum verließ, beugte sich Bunn zu seinem Anwalt herüber und flüsterte ihm zu, dass er bereit sei die Anklage gegen Megan fallen zu lassen, sollte sie die ihre ebenfalls fallen lassen.

„Ich werde sie nicht verklagen, wenn sie mich verklagt, aber sollte sie es doch tun, kämpfe ich mit harten Bandagen“, sagte er.

Video von T.J. Bunns Verhör am 6. Juli 2015

Bevor Bunn die Polizeistation wieder verließ, erkundigte er sich nach Megans Vergewaltigungs-Vorwürfen.

„Gewissermaßen warten wir immer noch darauf, dass sie sich wieder bei uns meldet“, sagte Hastings. „Ganz offensichtlich gibt es da noch einige Dinge zu klären“, bevor er „den Einbruch“ in sein Auto erwähnte, das „geklaute“ Geld (Bunn behauptete, dass ihm mehr als die drei Dollar fehlten, von denen Megan sagte, sie habe es für ein Taxi genommen) und mittlerweile sogar „das denkbare Szenario, dass eine Kugel ein bewohntes Haus getroffen haben könnte.“

„Genau diese Dinge müssen wir noch mit ihr klären, nur um zu gucken, wie weit sie in dieser Sache noch gehen will“, sagte er.

„Ich schätze die Professionalität jedes Einzelnen hier“, sagte Bunn.

„Keiner will doch gleich am frühen Morgen gestört werden“, sagte Hastings. „Man, ich sehe das so: Wenn ich an deiner Stelle wäre, dann würde ich wollen, dass du das Gleiche für mich tust.“

Bürogebäude von ST Bunn Construction
Bürogebäude von ST Bunn Construction © Cameron Carnes für BuzzFeed News

Ende Juli, erzählt Mike Rondini, habe der Staatsanwalt angerufen und ihnen mitgeteilt, dass Megans Vorwürfe nicht mit der rechtlichen Definition einer Vergewaltigung übereinstimmten und der Fall es deshalb nicht vor das Geschworenengericht schaffen würde. Zwei Wochen später bekam Megan einen Brief, in dem bestätigt wurde, dass ihr Fall nun abgeschlossen sei. Sie war noch nicht bereit aufzugeben. Im August suchte sie sich einen Rechtsanwalt, um Zivilklage einzureichen. Im Herbst sagte sie ihrer Therapeutin, dass sie Bunn verklagen werde, aus Angst sie „sei nicht die erste Person, die er belästigt habe - oder die letzte.“

Gleichzeitig hatte Megan aber auch Angst. Sie ging nicht mehr vor die Tür, nachdem sie Bunn ein Mal auf der Straße gesehen hatte. Sie hörte auf, einen ehrenamtlichen Habitat for Humanity-Kurs für Stipendiaten zu besuchen, weil er von ST Bunn Construction gesponsert wurde.

„Sein Einfluss und sein Reichtum ist der Grund, warum ich ihn nicht verklagen kann“, schrieb sie einer Freundin. „Er ist der nette Kerl und ich bin die Schlampe, die ihn verklagt.“

Im Herbst diagnostizierte eine Therapeutin bei Megan eine posttraumatische Belastungsstörung mit dem Hinweis, dass bei ihr zuvor noch nie psychische Probleme festgestellt wurden.

„Sein Einfluss und sein Reichtum ist der Grund, warum ich ihn nicht ver-klagen kann“, schrieb sie einer Freundin. „Er ist der nette Kerl und ich bin die Schlampe, die ihn verklagt.“

„Sie verliert sich immer mehr in dem Gedanken, dass sie als missbrauchte Frau keine Chance auf Gerechtigkeit habe und alles zerfalle“, steht in den Notizen der Therapeutin. Abgesehen von der mutmaßlichen Vergewaltigung, schrieb die Therapeutin weiter auf, war Megan „fast noch frustrierter“, dass ihr Fall einfach ignoriert werde, weil Bunn „aus einer sehr berühmten Familie stamme.“ Megan wollte wieder zur UA gehen, weil „sie so hart gelernt hatte“, steht außerdem in den Notizen, „doch seitdem sie wieder studiert, kann sie nicht mehr aufhören zu weinen, fürchtet sich in der Nacht und muss Seminare verlassen, weil sie sich überfordert, beklemmt und verängstigt fühlt.“

Megan war sich sicher, dass die University of Alabama sie unterstützen und ihr dabei helfen würde, herauszufinden, was die nächsten Schritte seien, selbst wenn sie Bunn nicht verklagen konnte. Stattdessen fühlte sie sich durch die Institution, die sie einst so liebte, bald nur noch mehr allein gelassen (die UA wollte kein Statement dazu abgeben und begründete diese Entscheidung damit, „die Privatsphäre der verstorbenen Studentin schützen zu wollen“).

Das sogenannte „Women and Gender Resource Center“ der Universität wurde zum ersten Mal in der Nacht von Megans Fall informiert, in der sie den sexuellen Missbrauch meldete. Eine dort angestellte Therapeutin namens Kathy Echols schrieb einen Bericht über ihren Vorfall, in dem „TJ Bunn“ als angeklagter Täter erwähnt wird. Als Megan fast zwei Monate später zum ersten Mal wieder dem Campus besuchte, war Echols die Therapeutin, mit der sie sich zu Beratungsgesprächen traf. Das war auch der Zeitpunkt, an dem Echols Megan sagte, dass sie die Bunn-Familie kenne und diesen Fall wegen Befangenheit ablehnen müsse (BuzzFeed News entnahm ihren eigenen Notizen, dass ihr „der Familienname bekannt vorkomme).

„Ich bin sowas von am Arsch, ich kann in dieser Stadt nicht mal eine Therapeutin finden, weil jeder ‚super gut befreundet‘ mit Bunn ist“, schrieb Megan daraufhin einer Freundin.

Sie hatte keine Ahnung, dass die Ermittler die Universität außerdem darüber informierten, dass die Polizeibeamten Bedenken hinsichtlich ihrer Anschuldigungen hätten. Zuerst wurde der Beauftragte für Fälle von sexueller Belästigung alarmiert, dass es „Probleme“ mit Megans Prozess gebe, weil sie zugegeben hatte „Bunns Geld genommen“ zu haben (die drei Dollar) sowie „eine Waffe aus seinem Auto.“

„Sie hat außerdem zugegeben, die Waffe abgefeuert zu haben und wir glauben, dass Bunns Haus getroffen wurde“, schrieb Leutnant Kip Hart drei Tage nach Bunns Verhör in einer E-Mail an die UA.

Bevor die Polizeibeamten Megan mit einem Brief darüber informierten, dass ihr Fall offiziell fallengelassen werde, schrieb Hart dem Beauftragten für sexuelle Belästigung erneut eine E-Mail, in der stand, dass die in ihrem Fall gemachten Anschuldigungen „wahrscheinlich als haltlos fallengelassen" werden.

Doch obwohl Megan und ihre Familie darüber in Kenntnis gesetzt wurden, dass in diesem Kriminalfall nicht weiter ermittelt werde, entschied sich das Büro der Staatsanwaltschaft dazu, ihn einem Geschworenengericht zu präsentieren. Es gab da allerdings einen Haken: Im Falle einer Anhörung vor den Geschworenen würden diese auch in den Anklagen gegen Megan (der Einbruch in Bunns Auto und der Diebstahl seiner Waffe) ein Urteil fällen müssen.

Interne Dokumente vom September 2015 deuten allerdings darauf hin, dass die Behörden nicht vorhatten, sich sehr für Megan einzusetzen. Ein Vermerk besagt, die Ermittler hätten festgestellt, dass „kein sexueller Übergriff vorgefallen“ sei.

Die Rondinis erfuhren nur kurz nachdem sie einen Anwalt für die Zivilklage eingeschaltet hatten davon, dass der Fall wieder aufgerollt wurde. Sobald sie herausfanden, dass Megan selbst möglicherweise wegen eines Verbrechens angeklagt werden könnte, entschieden sie sich dazu, dass es das Beste für sie sei, die Zivilklage wieder fallen zu lassen, frühzeitig die Uni zu verlassen und zurück nach Texas zu ziehen.

Megan verließ die Stadt so schnell, dass sie es nicht mal schaffte, sich von einigen ihrer engsten Freunde zu verabschieden. Mit ihrer wachsenden Isolation von der Außenwelt, wurden auch ihre Depression und die Angst immer größer.

„Ich habe keine Ahnung, wen er sonst noch kennt und in diesem System unter seiner Kontrolle hat“, schrieb Megan einer Freundin. „Der einzige Grund, warum ich von Anfang an überhaupt Anklage erhoben habe, ist, weil ich nicht will, dass das irgendjemand anderem passiert.

Das Krankenhaus in Tuscaloosa.
Das Krankenhaus in Tuscaloosa. © Cameron Carnes für BuzzFeed News

Es gibt Reformen, die eine Anzeige nach sexuellem Missbrauch einfacher machen. Beispielsweise haben viele Bundesstaaten die gesetzliche Definition von Vergewaltigung geändert, sodass Opfer nicht mehr wie in Alabama beweisen müssen, dass sie sich „ernsthaft“ gewehrt haben. Diese neuen Gesetze eignen sich viel besser für die Bearbeitung von Fällen mit sexueller Gewalt; eine kürzlich veröffentlichte Studie hat festgestellt, dass viele Vergewaltigungs-Opfer eine ungewollte Lähmung erleben mussten, wegen der sie sich nicht wehren konnten.

Das Krankenhaus in Tuscaloosa ist längst überfällig für das Programm, das spezielle Schwestern für das Sammeln von forensischen Beweisen ausbildet, so wie es das Justiz-ministerium und führende medizinische Organisation mittlerweile empfehlen. Es wäre vielleicht auch an der Zeit, die Politik des Morddezernats und die Ermittlungsmethoden in Fällen von sexuellen Gewalttaten einer externen Prüfung zu unterziehen. Gleichzeitig sollte vielleicht geprüft werden, wie und wann die Staatsanwaltschaft entscheidet, in solchen Vergewaltigungs-Vorwürfen weiter zu ermitteln. Die University of Tuscaloosa könnte ihren Beratungsdienst reformieren; die Rondinis legten Klage vor dem Obersten Gerichtshof ein, als die Universität Megans Fall nicht weiterverfolgte, nachdem ihn die Therapeutin wegen Befangenheit niederlegte (die Universität erklärte gegenüber BuzzFeed News, dass sie niemals „irgendwem eine Beratung ablehnen würden“, womit sie sich auf die Beschwerde bezieht).

Es gibt keine Möglichkeit zu erfahren, ob diese Verbesserungen Megan geholfen hätten, der niemals auch nur ein Tag im Gerichtssaal zugestanden wurde (die Rondinis haben die in Birmingham ansässige Maxwall Anwaltskanzlei eingeschaltet, um mögliche Klagen gegen die UA, das Polizeibüro von Tuscaloosa und Bunn zu prüfen). Es steht einzig und allein fest, dass sie immer ängstlicher und einsamer wurde, je mehr Hilfe sie zu bekommen versuchte. Es ist nur schwer vorstellbar, dass sie sich am Ende nicht gewünscht hätte, niemals überhaupt eine Klage eingereicht zu haben.

Megan füllte ein Aufnahme-Formular am Gesundheits-zentrum der texanischen MCU-Uni aus. Sie schrieb: „Vergewaltigt, von der Polizei schikaniert, Uni gewechselt.“

In E-Mails an BuzzFeed News verdeutlicht Captain Hood die Löcher, die er in Megans Geschichte sah - viele davon haben damit zu tun, dass sie sich nicht „ernsthaft gewehrt“ hätte. Obwohl sie erzählte, einen Teil der Nacht nicht bei vollem Bewusstsein gewesen zu sein, habe sie doch zugegeben, „alles mitbekommen“ zu haben. Obwohl sie angab, Bunn wiederholt darauf hingewiesen zu haben, gehen zu wollen, habe sie niemals „Nein“ gesagt.

Obwohl sie innerhalb weniger Stunden ein Krankenhaus und die Polizeistation besuchte, habe sie niemals um Hilfe gerufen oder den Notruf gewählt. Und sie habe niemals etwas „zur Aussage gebracht oder darauf hingewiesen“, was die Ermittler davon überzeugte, dass sie „mit dem Geschlechtsverkehr nicht auch einverstanden“ gewesen sei.

Die Beamten hätten nicht nur wie vorgeschrieben nach dem in Alabama gültigen Vergewaltigungs-Gesetz gehandelt – sie seien „gesetzlich dazu verpflichtet“ gewesen, den von Megan im Verhör gestandenen Straftaten weiter nachzugehen. Ihre mentale gesundheitliche Verfassung hat zu diesem Zeitpunkt keine Rolle gespielt. Ihr Besuch bei der Polizeistation im direkten Anschluss an ihren Krankenhausaufenthalt, bei dem sie ihre Geschichte erzählte, offensichtlich genauso wenig.

„Nur weil sie sich nicht ‚darüber im Klaren‘ war, dass sie einen Rechtsverstoß begangen hatte, macht die Tatsache nicht zunichte, dass sie diese Rechtsverstöße ‚wirklich begangen hat‘", so Hood.

Natürlich wurde Megan nie wirklich eines Verbrechens für schuldig erklärt: Die Klage gegen sie schaffte es nie vor das Geschworenengericht. Die Klage gegen Bunn allerdings schon - ein paar Wochen nach Megans Tod. Das Geschworenengericht befand ihn für nicht schuldig.

Megan hätte diesen Sommer ihren Abschluss gemacht. Stattdessen wechselte sie zur Southern Methodist University in Texas, aber dort ging es ihr auch nicht besser. Sie vermisste ihre Freunde, ihre Studentinnenverbindung und das Leben, das sie zurückgelassen hatte. Dennoch erzählte sie Leuten, die sich nach ihr erkundigten, dass sie in Therapie sei und nach vorne blicken würde. Megan wollte, dass „ihre Freunde sich niemals Sorgen um sie machen, also bemerkte keiner wie schlecht es ihr wirklich ging, bis es schließlich zu spät war“, erzählte eine ihrer Verbindungsschwestern BuzzFeed News.

Am 21. Februar 2016 schrieb Megan einer Freundin und fragte sie, ob sie jemals das Gefühl hätte, „mit der ganzen Scheiße nichts mehr zu tun haben zu wollen.“ „Aber hallo, fast jeden Tag“, schrieb ihre Freundin zurück. „Wie gehts dir? Wie gefällt dir die neue Uni?“

„Ich hasse sie“, antwortete Megan. „Ich vermisse, wie alles früher mal war.“

In der selben Woche füllte Megan ein Aufnahme-Formular am Gesundheitszentrum der texanischen MCU-Universität aus. Darin schrieb sie, dass sie sich mehr als die Hälfte der Zeit das Gefühl hätte, lieber tot zu sein. Auf eine Frage, die im Formular gestellt wird, wonach in ihrem Leben große Verluste, Veränderungen oder Krisen stattgefunden hätten, antwortete sie: „Vergewaltigt, von der Polizei schikaniert, Uni gewechselt.“

Sie gab das Formular niemals ab. Stattdessen beging sie am 26. Februar Selbstmord.

Sie hinterließ keine Nachricht - aber neben ihrem Bett lag das Aufnahme-Formular. ●

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Tubies.

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