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Taylor Swift schildert in ihrer Doku, wie sie ihre Essstörung versteckt hat. Sie ist damit nicht allein.

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Wir belügen andere und sogar uns selbst über das, was wir unserem Körper antun.

Taylor Swift bei der Verleihung der American Music Awards 2019 in Los Angeles am 24. November 2019.
Taylor Swift bei der Verleihung der American Music Awards 2019 in Los Angeles am 24. November 2019. © Matt Winkelmeyer / Getty Images

Im Studium habe ich 45 Minuten auf dem Hometrainer verbracht und war dann noch eine Stunde im Fitnesskurs. Mittags habe ich Müsli mit Rosinen gegessen und zum Abendessen dann Erbsenreis, vielleicht mit ein wenig Käse oben drauf. Wenn ich nur eine Portion Mikrowellen-Popcorn zum Mittagessen hatte – eine „Mahlzeit“, die ein universelles Zeichen für eine Essstörung ist, wie ich später erfahren habe –, haben meine Freundinnen mich schräg angeschaut. Irgendwann haben sie sich mit mir zusammen hingesetzt und gesagt: „Du isst zu wenig.“

Mir war das peinlich, denn so eine Intervention bedeutete sicher, dass sie schon seit Monaten über mich gesprochen und meine Essgewohnheiten beobachtet hatten. Allerdings sorgten sie so dafür, dass ich tatsächlich anfing, mehr Kalorien zu konsumieren. Dennoch war es nie wirklich genug, wenn man bedenkt, wie viel ich weiterhin trainiert habe. Mein Verstand sagte mir, dass Essen schlecht und unnötig sei und ich es leicht ignorieren könne – obwohl mein Körper (wie jeder andere Körper auch) mir zu verstehen gab, dass Essen sehr wohl notwendig ist. Nicht durch die Hungerschmerzen, an die ich mich so gewöhnt hatte, dass sie inzwischen verschwunden waren, sondern durch das Schwächegefühl und durch die Langsamkeit beim Training.

Ich war nie so dünn, dass jemand das wirklich bedenklich gefunden hätte. Ich habe mich nie zum Übergeben gezwungen. Ich habe niemals Mahlzeiten ausgelassen. Ich habe Süßigkeiten gegessen. Ich habe Bier getrunken. Ich habe mitten in der Nacht Nachos gegessen. Ich habe keine Diäten gemacht. Doch wie Millionen andere Menschen auch hatte ich eine gestörte Beziehung zum Thema Essen, was dadurch befeuert wurde, dass es zu funktionieren schien. Mein Körper war gesellschaftlich akzeptiert. Er entsprach der Norm davon, wie der „begehrenswerte“ Körper einer weißen Frau aussehen sollte – was für mich im weiteren Sinne bedeutete, dass alles, was ich dafür tat, damit das auch so bleibt, ebenfalls akzeptabel war.

In Miss Americana, der mit Spannung erwarteten Doku über Taylor Swift, die vor Kurzem auf Netflix erschienen ist, spricht die Sängerin über ähnliche Gedanken. In der Vergangenheit habe sie manchmal „einfach ein bisschen gehungert“, sagt Swift in der Doku. Auslöser waren Fotos von ihr in den Medien, mit denen mutmaßt wurde, ob sie zugenommen habe oder schwanger sei. „Ich habe dann einfach aufgehört zu essen.“ Jede*r mit einer Essstörung wird dir bestätigen, dass „ein bisschen hungern“ und „aufhören zu essen“ nicht bedeutet, komplett auf Essen zu verzichten. Das wäre ein zu offensichtliches Signal, dass etwas nicht stimmt. Stattdessen geht es darum, wirklich sehr vorsichtig zu essen. Du konsumierst so wenig Kalorien wie möglich und beschäftigst dich gerne mit dem, was als Orthorexie bezeichnet wird: zwanghaftes „clean eating“ oder eine „gesunde“ Ernährung.

Wie ich und so viele andere Frauen aus dem Mittelstand, die ich kenne, leidet Swift ebenfalls an einer Form von Hypergymnasie, auch bekannt als Anorexia athletica. Dabei versucht die betroffene Person, ihren Körper und ihre Kalorienzufuhr durch zwanghaftes Sport treiben zu kontrollieren, allerdings ohne sich dabei mit ausreichend Energie zu versorgen. „Ich dachte einfach, das müsse so sein; dieses Gefühl am Ende oder mitten in einer Show fast ohnmächtig werden“, erklärt sie. „Ich dachte, dass sei normal.“

Taylor Swift auf dem Titelblatt einer Boulevardzeitung vom November 2016.
Taylor Swift auf dem Titelblatt einer Boulevardzeitung vom November 2016. © OK

Mit dem vielen Training habe sie auch Kritik an ihrem Gewicht abgewendet. „Ich habe mich vor jedem gerechtfertigt, der meinte: ,Ich mache mir Sorgen um dich'“, so die Sängerin. „Ich sagte: ,Wovon redest du? Natürlich esse ich. Das ist völlig normal. Ich trainiere nur viel.'“ Und sie habe wirklich viel trainiert, fährt Swift fort. „Aber ich habe nicht gegessen.“

Während Swift von dieser Episode in ihrem Leben erzählt, werden Aufnahmen von ihr gezeigt, die etwa Mitte der 2010er Jahre entstanden sind. Ich erinnere mich an ihren Figur von damals – auf dem roten Teppich, in Editorials der Vogue. Sie ist ein Jahrzehnt jünger als ich, also vergleiche ich meinen Körper nicht mehr mit ihrem. Aber ich kann mir vorstellen, dass viele in ihrem Alter sich so eine Figur wünschen würden. Mir ging's so mit Britney Spears in den späten 90ern und frühen 2000er Jahren. Swift hat erheblich zum High Waisted-Trend beigetragen. Mit ihren Outfits hat sie häufig nur einen Hautstreifen zwischen hochgeschnittenen Röcken oder Shorts und bauchfreien Oberteilen hervorblitzen lassen. Spears Markenzeichen hingegen war der niedrige Bund. Die Jeans wurde tief getragen, dass der Stringtanga herausschaute und so viel möglich von ihrem gebräunten und muskulösen Bauch zur Schau stellte.

Swift spricht davon, dass es „immer irgendeinen Schönheitsstandard gibt, den du nicht erfüllst“. Als sie dünn war, war ihr Hintern nicht groß genug. Als sie jedoch genug Gewicht zugelegt hatte, um einen Hintern zu haben, war ihr Bauch nicht flach genug. „Das alles ist so ... fucking unmöglich“, sagt sie. Genau das war auch das Problem mit dem Britney-Bauch: Für die meisten Frauen, insbesondere diejenigen, die älter sind als 17, ist es einfach fucking unmöglich, so auszusehen – egal wie viel Sport sie treiben. Natürlich war das der Grund, warum er als Ideal galt: weil er für die große Mehrheit der Bevölkerung im Grunde unerreichbar war.

Aber als Perfektionistin, als Streberkind und dann als ambitionierte Erwachsene war ich es nicht gewohnt, das es Dinge gibt, die ich nicht durch harte Arbeit und Disziplin erreichen kann. Du setzt dir ein Ziel und du machst dir einen Plan, um es zu erreichen. Für einige kann sich so ein Plan durchaus zu einer deutlich sichtbaren und sogar lebensbedrohlichen Essstörung ausweiten. Dennoch glaube ich, dass mehr Menschen wie ich und Swift sind: Wir finden eine Möglichkeit, auf dieses Ideal hinzuarbeiten, ohne jemanden zu beunruhigen. Wir belügen andere und sogar uns selbst über das, was wir unserem Körper antun.

Schon damals im Studium wusste ich, dass nicht jede*r den gleichen Körpertyp hat und dass Körperideale widersprüchlich sind – so wie Swift auch wusste, dass sie keinen Körperbau wie ihre Freundin Karlie Kloss und keinen Hintern wie Kim Kardashian West haben konnte. Aber nur weil wir verstehen, wie lächerlich Ideale sind, heißt das nicht, dass wir uns ihnen nicht trotzdem unterwerfen. Diese Ideale sind so schädlich, dass sie beeinflussen wie Millionen von Menschen zum Thema Essen stehen – einem der elementarsten Bestandteile unseres Lebens – und diese Beziehung völlig und vielleicht für immer durcheinander gebracht haben.

Wir finden eine Möglichkeit, auf das Ideal hinzuarbeiten, ohne jemanden zu beunruhigen. Wir belügen andere und sogar uns selbst über das, was wir unserem Körper antun.

Meine eigene Essstörung begann sich zu verändern, als ich mit 30 in einem Internat arbeitete, wo ich viel Zeit mit Mädchen im Teenageralter verbringen musste. Vom ersten Tag an wusste ich, dass ich ihnen eine positive Einstellung zum Essen vorleben wollte: eine, die nicht präzise oder studiert und nicht der Mittelpunkt meines Lebens war. Anfangs fiel es mir schwer, ein normales Mittagessen zu essen, anstatt einfach nur Müsliriegel und ein Stück Obst zu verputzen, wie ich es in den letzten zehn Jahren getan hatte. Doch im Laufe des ersten Monats fiel mir auf, dass ich nicht an Gewicht zugenommen hatte – und ich mich irgendwie besser gefühlt habe.

Auch Swift hatte diese Erkenntnis: „Wenn du isst und Energie und Kraft hast, kannst du all diese Shows ohne Probleme durchziehen“, sagt sie. „Das war eine wichtige Offenbarung ... Denn ich bin viel zufriedener mit mir.“ Es mache ihr jetzt weniger aus, wenn Leute sagen, sie hätte zugenommen. „Das macht mein Leben nur besser.“ Sie sagt, sie habe eine Kleidergröße zugelegt. Jetzt trage sie eine 6 (Größe 36) statt einer Doppel-0 (Größe 30 und kleiner). So sei sie schlicht nicht gebaut. „Ich hatte das nur einfach nicht richtig verstanden.“

Vielleicht hat ein Teil von ihr auch gewusst, ebenso wie ich damals, dass ihr Körper so nicht funktionieren kann – nur konnte sie den Rest von ihr womöglich nicht dazu bringen, das einzusehen. Zumal sie in jeder erdenklichen Weise gelobt wurde, als ihr Körper so aussah. Genau deshalb verbirgt sich diese Art von Essstörung vor aller Augen: unter hochbegabten Schüler*innen, unter diversen Sportler*innen, unter Männern, unter allen Menschen, ganz egal, wie viel sie wiegen. Dazu zählen eben auch diejenigen, die dem Anschein nach alles so gut im Griff haben wie Taylor Swift. Insbesondere Sportler*innen haben Übung darin, ihre Essstörungen zu verstecken: Sie machen keine ausreichenden Angaben über ihr Verhalten und ihre Probleme werden zwar als „problematisch“, aber „subklinisch“ angesehen. Sie melden selten Fressexzesse oder berichten von der Einnahme von Abführmitteln oder erzwungenem Erbrechen. Sie nutzen stattdessen Sport als eine (sanktionierte) Form der Kontrolle.

Risiko und Vorkommen von Essstörungen oder gestörtem Essverhalten steigen im Sport, je mehr Ernährung, Gewicht, Kleidergröße und/oder Aussehen des Sportlers oder der Sportlerin in den Fokus rücken. Doch in unserer Gesellschaft werden wir beachtet, geschätzt und gelobt, wenn wir diesen Ansprüchen gerecht werden. Das ist eine Lektion, die junge Menschen, egal welchen Geschlechts, schon sehr früh verinnerlichen und die durch Body Shaming noch vertieft wird. Was erklärt, warum Verhalten, das zu den Symptomen für Essstörungen zählt, vielen gar nicht auffällt, darunter „Beschäftigung mit Gewicht, Essen, Kalorien, Kohlehydraten, Fett und Diäten“, „Mahlzeiten auslassen und nur kleine Portionen essen“ sowie „extreme Sorge um Körpergröße und Figur“. Sowas ist schließlich alltäglich.

Swift erklärt daher in Miss Americana: „Du sagst dir nie: ,Ich habe eine Essstörung'. Aber du schreibst alles auf, was du an einem Tag isst. Du weißt, dass das wahrscheinlich nicht richtig ist. Andererseits gibt es so viele Diät-Blogs, die dir sagen, dass du genau das tun solltest.“

Swift spricht in Miss Americana über ihre Erfahrungen mit Essstörungen. © Netflix

In den letzten zehn Jahren habe ich Taylor Swift mit gemischten Gefühlen betrachtet. Ein Großteil davon hat mit der Zeit zu tun, in der sie unter der Essstörung litt, von der sie im Film spricht. Dazu zählt ihr Auftritt bei der Victoria's Secret Fashion Show 2014 und auch der Freundeskreis, den sie um namhafte Models und andere dünne Celebritys aufgebaut hatte. Die Selbstdarstellung und das Auftreten ihrer „Squad“ wirkten auf mich gekünstelt und verkrampft – obwohl sie eine der berühmtesten Personen der Welt ist.

Dass sich gestörte Essgewohnheiten in Zusammenhang mit unserem Selbstwertgefühl und unserer Selbstliebe entwickeln und wiederum dadurch „geheilt" werden, ist eine klischeehafte Behauptung. Dennoch verbirgt sich dahinter eine größere Wahrheit: Unsere Gesellschaft ist so hart, unversöhnlich und anspruchsvoll, wenn es darum geht, wie Menschen – vor allem Frauen – aussehen und wie wir uns verhalten sollen. Sie schafft so eine Art Persönlichkeitsvakuum, das uns alle anderen Eigenschaften aussaugen kann, bis von unserem Charakter nur noch die Fähigkeit bleibt, unsere Kalorienaufnahme zu kontrollieren. Es ist kein Zufall, dass sich diese Essstörungen oft in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter entwickeln, wenn wir noch kein Selbstbewusstsein haben, das nicht nachgibt, sobald wir unter Druck gesetzt werden, nicht wir selbst zu sein.

Als ich erkannt habe, dass Essen nicht mein Feind und Sport nicht nur eine Waffe ist, um diesen zu bekämpfen, veränderte sich meine Einstellung zu beidem. Auch Swift hatte eine ähnliche Erkenntnis. Doch die Dokumentation als Ganzes lässt vermuten, dass diese Offenbarung Teil einer viel größeren Abrechnung damit ist, wer sie ist, was sie will und wofür sie einsteht. So erging's auch mir, als ich Anfang 30 war und nach dem Studium eine neue Karriere begann.

Swift gibt in dem Film zu, dass sie sich kürzlich bei dem Gedanken ans Hungern „ertappt“ habe, als sie ein Foto von sich im Internet sah. „Und ich so: Nein, das machen wir nicht mehr“, sagt sie. „Denn es ist besser zu denken, man sähe fett aus, als tatsächlich krank auszusehen. Und wir tun das nicht mehr.“

Das ist nicht die Person, die sie beschlossen hat zu sein. „Denn das hat uns nicht gut getan.“ Und während Swift auch heute noch gewollt oder ungewollt zu unserem kollektiven Verständnis von Schönheit und Erfolg beiträgt, spricht sie über ihre eigene Empfindlichkeit gegenüber diesem Druck. Sie weigert sich, die Verhaltensmuster, die so eine Wahrnehmung aufrechterhalten, weiterhin zu verbergen und sie somit weiter zur Normalität zu machen.

Menschen mit Essstörungen wissen in der Regel, dass das, was sie tun, ungesund und beschissen ist. Das muss uns niemand sagen. Was wir brauchen und was Swift tut, ist zu zeigen, dass es uns gut gehen wird – und wir auch dann noch geschätzt und geliebt werden –, wenn wir diese Verhaltensweisen hinter uns lassen. ●

Betroffene von Essstörungen finden bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) weitere Informationen und können sich zum Beispiel an die Telefonseelsorge wenden.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch.

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