YouNow ist die Livestreaming-App, die Teenies lieben

YouNow ist echt seltsam – und echt faszinierend. Im Unterschied zu Periscope und Meerkat kannst Du hier einen Jugendlichen dafür bezahlen, dass er singt und tanzt. Oder sogar dafür, dass er schläft.

Meerkat und seit Neuestem auch Periscope werden als mögliche Zukunft der Nachrichtenberichterstattung gehandelt, aber die Herzen der Teenies gehören der Livestream-App YouNow. Meerkat und Periscope reißen sich um die Aufmerksamkeit der News-Junkies auf Twitter. YouNow hat seine Zielgruppe längst gefunden: Scharen von Jugendlichen hängen hier ab, um Zeit miteinander zu verbringen.

Letztens habe ich mich einer ziemlich verstörenden, wenn auch eigentlich recht unschuldigen Aktivität hingegeben: Ich lag nachts im Bett und schaute mir einen schlafenden Teenager an. Dafür habe ich YouNow benutzt, eine App, mit der jeder sein Leben live streamen kann und die unter Jugendlichen gerade der heiße Scheiß ist. Unter dem beliebten Hashtag #sleepingsquad kann ich mir auf Younow jederzeit so circa 20 schlafende Teens anschauen.

Manche Teenager schlummern mit leiser Musik im Hintergrund. Manche sind absolut still. Und manche atmen dieses typische Schlaf-Atmen. Ich habe keine Ahnung, warum ein Jugendlicher streamt, wie er schläft. Und ich kann sie nicht fragen. Weil sie, nun ja, schlafen.

Ich fragte andere Teenager – und auch Kinder, die gerade mal zehn sind – warum sie YouNow nutzen. Das Problem dabei: Bekomm' mal aus einem 13-Jährigen mehr heraus als "Kein Plan" oder "Mir war langweilig." Es ist allerdings auch nicht die richtige Frage. "Warum haben Sie den Mount Everest bestiegen?" "Warum twittern Sie?" Haben Erwachsene etwa eine bessere Antwort als "Mir war langweilig", wenn sie das gefragt werden?

Der verzweifelte Wunsch, die Langeweile unseres Alltags durch sozialen Kontakt zu verjagen, ist der Motor hinter allem, was wir im Internet machen. Und Langeweile macht gerade in Teenagerleben einen so wesentlichen Teil aus, dass #bored einer der Topkanäle bei YouNow ist.

Also schrieb ich die Leute auf dem #sleepingsquad-Kanal an fragte sie einfach: Warum? Ein Mädchen, das sich gerade einen schlafenden jungen Mann ansah, gab mir eine einleuchtende Antwort: "Das ist mein Freund." Andere betrachteten das Ganze eher von außen: "Ich glaube, die Leute, die das machen, die wollen Likes und Fans bekommen."

Adi Sideman, der Chef und Gründer von YouNow, verriet mir seine Theorie über #sleepingsquad: "Es ist die Sucht nach dem Internet, es ist die Sucht nach Social Media. Es geht ihnen darum, nicht zu verschwinden, auch wenn sie gerade schlafen." Andy Weissman von Union Square Ventures, der in YouNow investiert hat, beschreibt den Kanal in einer E-Mail an BuzzFeed News als "eine Online-Pyjamaparty". Und fügt hinzu: "Ich glaube, es ist ein menschliches Bedürfnis, mit anderen in Kontakt zu treten. Und das gilt wahrscheinlich noch stärker für junge Menschen."

Die App ist so etwas wie eine Kombination aus Vine, Chat Roulette und Talentshow. Es gibt verschiedene Kanäle, wie "Musiker", "Tanzen" oder "Mädchen". Zuschauer können den Leuten, die sich darauf präsentieren, Feedback senden oder Fragen stellen. Wenn sie Dir gefallen, hast Du die Möglichkeit, ihnen Punkte geben. Die musst Du vorher einkaufen, also gegen echtes Geld. Der Künstler bekommt dann hinterher auch echtes Geld ausgezahlt. YouNow selbst verdient, indem es von dem Geld einen Teil abzwackt.

Im Grunde läuft das wie bei einer Bühnenshow, in der ein Hut rumgeht: Manche Leute gucken sich die Performance kostenlos an, manche werfen einen Dollar in den Hut und am Ende behält der Veranstalter einen Teil davon für sich. Momentan gibt es keine Pläne, Werbung zu schalten. "Wir finden unser aktuelles Modell gut", sagt Sideman.

Andere Plattformen, die Teen-Stars hervorbringen, wie Vine oder Youtube, machen ihr Geld mit werbefinanzierten Videos. Ich fragte Sideman, warum junge User (laut Sideman sind 70% unter 24) für jemanden zahlen, der Ed Sheeran covert, wenn sie sich auch kostenlos den echten Ed Sheeran ansehen könnten. "Die meisten Fans mögen es, währenddessen zu chatten. Manche Fans möchten sich auch vom Rest abheben und an der Performance mitarbeiten", sagte Sideman. "Das Publikum spielt eine ebenso große Rolle wie die eigentliche Sendung. Und darum geht es uns. Jeder soll mitmachen und so wird dann gemeinsam etwas kreiert. Wenn ich Punkte verteile oder Nachrichten sende und derjenige das in seine Performance aufnimmt, werde ich ein Teil davon."

Tagsüber verschwindet der #sleepingsquad und es dominieren Musiker, Performer und süße Teens. Ich schaute mir die Kids im Kanal #truthordare an, also "Wahrheit oder Pflicht". Erst zog sich da mein Magen zusammen. Hier gab es überwiegend junge Mädchen, die so zwischen 10 und 15 Jahre alt zu sein und sich auf zweideutige Spielchen mit Fremden einzulassen schienen.

Sich harmlose Aufgaben für "Pflicht" und jugendfreie Fragen zu "Wahrheit" auszudenken, ist erstaunlich schwer. Also stellte ich ein paar "Entweder-Oder"-Fragen.

Ich: Hättest Du lieber, dass Deine Mom einen Monat lang Deine Klamotten für Dich auswählt oder dass sie eine Woche lang all Deine Nachrichten lesen kann?

Teenie-Mädchen: Meine Mutter hat einen guten Geschmack, also würde ich mich von ihr einkleiden lassen.

Ich, zu einem anderen Mädchen: Du müsstest ein Jahr lang keine Hausaufgaben machen, aber dafür könnten Deine Eltern einen Monat lang Deine Nachrichten lesen. Würdest Du's machen?

Teenie-Mädchen: Nein, weil ich hier teilweise echt seltsame Nachrichten bekomme.

😬 Schluck.

Bei "Pflicht" forderte ich schließlich junge Mädchen dazu auf, einen Taylor Swift-Song ihrer Wahl darzubieten (eine ganz hervorragende Aufgabe, FYI, tut Euch keinen Zwang an, das auszuprobieren).

Eine verdrehte die Augen und sagte, dass sie Taylor Swift nicht möge – man konnte genau sehen, dass sie es peinlich fand, auf das zu stehen, auf das alle anderen stehen. Sie bot mir an, dafür bei einer Parodie von YouTube-Star Shane Dawson mitzusingen.

Kids, lasst Euch einen Rat von einer coolen Erwachsenen geben: Shane Dawson zu mögen ist deutlich peinlicher, als Taylor Swift zu mögen.

Nachdem ich das dritte Mädchen dazu aufgefordert hatte, einen Taylor Swift-Song mitzusingen, wurde mir klar…das macht Spaß. Mich überkam ein wohliger, nostalgischer Schauer, als ich diesen Mädels dabei zusah, wie sie in ihrem Zimmer Songs von Popstars performen – etwas, das ich selbst ziemlich oft gemacht habe. Es fühlte sich weder komisch noch eklig an. Es erinnerte mich stattdessen tatsächlich an eine Pyjamaparty, genau wie Investor Andy Weissmann es beschrieben hatte (obwohl ich mich für eine geeignetere Instanz halte, wenn es darum geht, Gemeinsamkeiten zu einer Mädels-Übernachtungsparty festzustellen).

Ich musste an meine eigene Jugend denken und fragte mich, ob mich das auch gereizt hätte. Da ich als Teenie ziemlich schüchtern war, glaube ich, dass ich nicht so auf den Performance-Aspekt gestanden hätte. Aber der Vergleich ist schwierig, weil die Technologien der Selbstdarstellung für die heutigen Kids einfach dazugehören (nur mal eben, um meinen Punkt klarzumachen: Myspace gab es erst, nachdem ich die Uni schon abgeschlossen hatte).

Die Kids auf YouNow repräsentieren die Leute auf dem Schulhof: Schauspieler, beliebte Mädchen, Nerds, Mitläufer, durchgeknallte Jungs mit Caps. Der Unterschied zwischen YouNow und dem Schulhof ist, dass Du hier zahlen kannst, um mit den coolen Kids an einem Tisch zu sitzen, wenn Du denn willst.

Ein Mädchen, das unter dem Hashtag "dance" streamt, bekommt 50 "Daumen hoch"-Punkte von einem Fan. Dieser Junge streamt unter dem Hashtag "guys".

Es gibt keinen Zweifel daran, wie verwundbar die Kinder auf dieser Seite sind und das ist absolut verstörend. YouNow-Chef Sideman weiß um die Gefahr von erwachsenen Spannern. Mitte der 90er produzierte er während seines Filmstudiums an der New York University die Dokumentation Chicken Hawk. Darin ging es um die berüchtigte NAMBLA (North America Man-Boy Love Association). Die Doku wurde auf dem New York Underground Film Festival gezeigt und die Los Angeles Times nannte sie "kühl und objektiv" (der Film positioniert sich klar gegen die NAMBLA). Ein Artikel im New York Magazine aus dem Jahr 2001, der sich mit der Tech-Szene beschäftigt, stellt Sideman in ein eher unschmeichelhaftes Licht (der Artikel ist fantastisch, ich kann ihn nur empfehlen, es ist wie eine Zeitreise in die Technologieblase Anfang des Milleniums). Der Autor, Steve Fishman, berichtet über das Jahr, in dem er versuchte, eine Karaoke-Website an den Start zu bringen – und Sideman war als Geschäftspartner an diesem Projekt beteiligt."Steve ist jetzt ein Freund, aber damals nach dem Artikel habe ich jahrelang nicht mit ihm gesprochen. Ich war sauer, dass er geschrieben hat, dass mein Loft nach Bier riecht", sagte mir Sideman dazu, kichernd.

Adi Sideman war mal Fallschirmjäger bei der israelischen Armee. Jetzt trägt er ein enges T-Shirt über einem Henley-Shirt, eine Jeans und eine ausgefallene Brille. Er ist sympathisch und lebhaft und er bietet mir einen Cocktail an, als ich in seinem Büro sitze. Er wirkt nicht wie jemand, dessen Loft nach Bier riecht.

Zugegeben, so besorgt ich auch um die Sicherheit der jungen Teenies und Kinder auf YouNow war, ich sah bei meiner Recherche nichts Komisches, extrem Sexuelles oder Gefährliches auf der Plattform. Keiner hat sich ausgezogen, um mehr Punkte zu bekommen und ich habe auch nicht mitbekommen, dass jemand im Chat obszöne Dinge gesagt hat. YouNow beschäftigt Moderatoren, die ein Auge auf die Beiträge haben.

"Wir haben eine große Verantwortung, weil die App das Leben widerspiegelt und weil sie unter Jugendlichen so beliebt ist", sagte Sideman dazu. "Wir investieren viel ins Management der Community. Und wir investieren viel um zu gewährleisten, dass YouNow ungefährlich ist, egal in welcher Sprache es benutzt wird. Ich bin froh sagen zu können: Es ist ein sicherer Ort."

Die Künstler selbst scheinen sich auch keine Sorgen zu machen.

"Hast Du Bedenken, dass hier unheimliche Leute sind?" fragte ich ein elfjähriges Mädchen.

"Nein, nicht wirklich", antwortete sie.

"Wissen Deine Eltern, dass Du die App benutzt?"

"Ist das wichtig? Nein, es ist nicht wichtig. Sie wissen es nicht."

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