So organisieren sich Rechtsextreme seit Wochen in neuen Telegram-Gruppen

    „Deutschlands Ende oder Wende“ – BuzzFeed News dokumentiert, wie sich offenbar rechtsextreme Politiker, Neonazis, Kampfsportler und Sympathisanten verbotener Organisationen in Chatgruppen vernetzen.

    Mitarbeit: Rolf Regner („element investigate“)

    Sie erhoffen sich ein gewaltsames Erwachen Deutschlands, bis zu dem „noch viel deutsches Blut fließen“ wird und wollen „alle Szenarien durchspielen“: Rund 250 Rechtsextreme vernetzen und radikalisieren sich seit einigen Wochen in mehreren Telegram-Gruppen.

    BuzzFeed News Deutschland liegen zahlreiche Screenshots, Sprachnachrichten und Mitgliederlisten von rund 250 Profilen vor. Unter den Mitgliedern finden sich Hinweise auf NPD-Politiker, bekannte Neonazi-Größen und organisierte Rechtsradikale mit Kontakten in die rechtsextreme Kampfsport- und Musikszene sowie zu einschlägigen, teils verbotenen Organisationen.

    Die Recherche zeigt, wie sich Rechte und rechtsextremistische Personen austauschen und organisieren: wie sie Verschwörungstheorien, radikales Gedankengut, verfassungsfeindliche Symbole und Gewaltphantasien teilen. Und wie sie regionale Chat-Gruppen gründen, in denen sie sich zu gemeinsamen Treffen verabreden, Hinweise auf Aktionen und Untergrund-Konzerte austauschen oder Spendensammlungen organisieren.

    Vorbereitung auf ein Bürgerkriegsszenario

    Seit der Ermordung von Walter Lübcke wird neu diskutiert, wie groß die Gefahr des Rechtsextremismus in Deutschland ist. Am heutigen Mittwochmorgen, 26. Juni, hat der rechtsradikale Stephan E. die Ermordung Lübckes gestanden, berichteten NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung. Laut Verfassungsschutz wächst die Gefahr von rechts. 24.100 Personen stuft der Verfassungsschutz derzeit als rechtsextrem ein, die Hälfte davon soll gewaltbereit sein. Das geht laut dpa aus dem Jahresbericht des Verfassungsschutzes hervor, der am morgigen Donnerstag vorgestellt wird.

    Erst jüngst zeigte die Veröffentlichung eines vertraulichen Papiers des Verfassungsschutzes durch die Welt, wie sich Rechtsextreme organisieren: Maßgebliche Akteure fänden sich mittlerweile vor allem über „wenig komplex organisierte Kleingruppen und Einzelpersonen“ in losen Netzwerken zusammen, heißt es darin. Teile der rechtsextremistischen Szene befänden sich in „Vorbereitung für ein vermeintliches Bürgerkriegsszenario“.

    Das zeigt auch diese Recherche von BuzzFeed News: Die in den vergangenen Wochen beobachteten Gruppen beschwören Gewalt gegen Migranten und politische Gegner unter dem Vorwand der Notwehr herauf. Ein Nutzer spricht vom „Krieg gegen unser Volk“. Vor drei Tagen schreibt er: „Jeder der jetzt noch schweigt ist meiner Meinung nach ein Mittäter und gehört auch so bestraft.“

    Ihr habt Informationen darüber, wie sich Rechtsextreme in Deutschland vernetzen und organisieren und wollt mit unseren Reporter*innen darüber sprechen? Ihr erreicht uns am Besten über recherche@buzzfeed.com oder anonym über unseren sicheren Briefkasten unter tips.buzzfeed.com.

    Mitglieder entwickeln Gewaltphantasien

    Ausgangspunkt ist eine größere Gruppe mit mittlerweile rund 250 Mitgliedern, die von einem Nutzer namens „Vikinger“ am 1. Juni gegründet wurde. Sie heißt „THING – Treue Heimat Identität Nationalististische Gemeinschaft“. Im Profil der Gruppe heißt es: „Finde neue, und alte Kontakte mit nationalistischer Gesinnung in deiner Region. Für eine bessere Vernetzung untereinander, und für ein starkes gemeinschaftliches Deutschland zusammenzustehen.“ In der Gruppe schreibt Vikinger: „Macht euch keine Platte, das System hat uns schon alle auf dem Schirm jetzt heißt es in die Offensive gehen.“

    Rund zwei Wochen später gründet Vikinger aus THING heraus eine weitere, kleinere Gruppe mit rund 20 Mitgliedern. Er werde eine Gruppe aufmachen „wo wir gerne alle Szenarien durchspielen“, schreibt Vikinger am 18. Juni. „Vielleicht finden wir so die Lösung nach was wir alle suchen.“ Der Name der neuen Untergruppe: „Deutschlands Ende oder Wende“. In dieser Gruppe fallen seitdem deutlich radikalere Aussagen.

    Ein anderer Nutzer schreibt in „Deutschland Ende oder Wende“ zum Beispiel: „Ich hoffe es wird noch ein wahres Erwachen geben, aber bis dahin wird noch viel deutsches Blut fließen.“ Derselbe Nutzer sendet am 20. Juni mehrere Sprachnachrichten in die Gruppe. Darin sagt er: „Wir müssen auch neue Wege gehen [...] meine Ideen sind immer nur dann umsetzbar, wenn man viel Blut sehen will und das ist natürlich jetzt nicht das Optimale.“ Und in einer früheren Nachricht: „Es darf Nichts ein Grund sein, den Kampf einzustellen.“

    Gerechtfertigt werden diese und andere Gewaltphantasien in beiden Gruppen, indem die Nutzer Untergangsszenarien heraufbeschwören, gegen die man sich zur Wehr setzen müsse. Das Vorgehen erinnert an die mutmaßlich rechtsextreme Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“. Die Terrorgruppe hatte in einer Chatgruppe einen bürgerkriegsartigen Aufstand in Berlin geplant. Dieser sollte am 3. Oktober 2018 stattfinden. Ein der Mitglieder der Gruppe soll nach Informationen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung in den Chat geschrieben haben, es müsse „nur so aussehen, als hätten die Parasiten angefangen!“

    Ähnliche Aussagen finden sich auch in THING und „Deutschlands Ende oder Wende“. So schreibt etwa der Nutzer Vikinger: „Erst die Not wird das Beste in unserem Volk entfesseln. Bald werden es auch die Pazifistischten in den konservativen Kreise merken. Es kann der Glaube an eine faire demokratische Wende nicht mehr aufrecht erhalten werden. Im Prinzip bremsen viele Patrioten die ständig vom friedlichen Wandel reden nur die Wehrhaftigkeit. Und das könnte uns schlecht bekommen, da wir um Gewalt nicht herumkommen werden.“

    Untergrund-Konzerte in 16 Regionalgruppen

    Zusätzlich zu den beiden Hauptgruppen organisieren sich die Rechtsextremen seit Anfang Juni in 16 Untergruppen – eine für jedes Bundesland.

    In diesen Gruppen vernetzen sich zwischen zehn und 80 Mitglieder. Sie tauschen Informationen über Untergrund-Konzerte und Liederabende aus, planen Stammtische und teilen Links zu anderen Profilen, Gruppen und Chats.

    Viele der Mitglieder schienen sich bereits zu kennen. In den meisten Gruppen herrscht Frust darüber, dass vor Ort keine Aktionen realisiert werden könnten und dass viele Anhänger sich nicht mobilisieren ließen. Auch wird immer wieder davor gewarnt, in den Gruppen sensibles Material oder strafrechtlich relevante Inhalte zu teilen, da man nicht alle Mitglieder persönlich kenne.

    Hinweise auf bekannte Neonazi-Größen

    In den von BuzzFeed News beobachteten Telegram-Gruppen finden sich zahlreiche Hinweise auf bekannte und seit vielen Jahren vernetzte Neonazi-Größen. Die Recherchen zeigen, dass diese sich auch über Telegram-Gruppen neu vernetzen und auf den vermeintlichen „Tag X“ vorbereiten.

    Derzeit hat die THING-Obergruppe knapp 250 Mitglieder mit Namen wie „NaziSkin18“ oder „NegerJudenMuselZiggysLinkeINSGAS“. Mehrere Gruppenmitglieder tragen die Namen von bekannten NPD-Mitgliedern oder von Personen, die seit langem in rechtsradikalen Strukturen aktiv sind. BuzzFeed News konnte bei den meisten Nutzern nicht zweifelsfrei feststellen, ob es sich auch um diese Personen handelt. Die Nutzer gaben im Chat jedoch Informationen preis, die das nahelegen.

    Ein Nutzer etwa, der sich „Freiheitsgedanken“ nennt, hat in der Telegram-Gruppe das gleiche Profilbild wie der NPD-Politiker Stefan Trautmann auf Facebook. Trautmann ist Anfang dreißig und wurde 2017 in den Landesvorstand der NPD Sachsen gewählt, bis Mai 2019 saß er im Stadtrat Döbeln. 2015 war er laut Medienberichten an einem Übergriff auf eine DGB-Kundgebung in Weimar beteiligt und hat Vorstrafen wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Diebstahl, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch. Heute sage er, er schäme sich für seine Taten von damals, schreibt Zeit Campus.

    Auch ein Nutzer mit dem Namen Joost Nolte ist Mitglied in der THING-Gruppe. Nolte ist laut NPD-Webseite seit einiger Zeit im „regionalen politischen Kampf um die Heimat aktiv Ansprechpartner für den Raum Goslar“. In Zukunft soll er „die Arbeit der Jungen Nationalen vor Ort übernehmen und leiten“.

    Ein weiterer Nutzer in der Gruppe nennt sich Robert Gebhardt, auf einem seiner Profilbilder ist ein Mann zu sehen, der ein kleines Mädchen auf dem Arm hält. Robert Gebhardt ist auch der Name eines Mannes, der bis Mai diesen Jahres Kreistagsabgeordneter im Landkreis Märkisch-Oderland in Brandenburg war. Er ist zudem Vize-Landesvorsitzender der Partei die Rechte. 2017 war er Mitglied des Bundesvorstandes der Partei.

    Zudem ist Gebhardt laut Verfassungsschutz Hauptakteur der neonationalsozialistischen „Kameradschaft Märkisch Oder Barnim“ (KMOB). Im Jahr 2010 gab es eine Razzia der Polizei, sie ermittelte gegen die Kameradschaft. Im Februar 2014 gründete sich dann ein neuer „Kreisverband Märkisch Oderland Barnim“ (KMOB). Beide – Kameradschaft und Kreisverband – tragen mit KMOB die gleiche Abkürzung.

    Viele der Mitglieder von KMOB sind auch Mitglieder bei der Partei „Die Rechte“. Die Kameradschaft missbrauche den Schutzschirm des Parteienrechts, „um so ihre neonationalsozialistischen Aktivitäten ungestört fortzusetzen“, urteilte 2017 der Verfassungsschutz Brandenburg. Das Gruppenmitglied Robert Gebhardt hat ein weiteres Profilfoto hochgeladen, auf dem es mit mehreren Männern und einem Banner des KMOB zu sehen ist.

    Sympathisanten von „Combat 18“

    Auch Sympathisanten der rechtsradikalen Gruppe „Combat 18“ scheinen sich in den Gruppen zu vernetzen. Ein Mitglied, das sich „Daniel Müller“ nennt und angibt, aus dem Jerichower Land zu kommen, nutzt ein Profilbild von „Combat 18“ und „Oidoxie“.

    „Combat 18“ gilt als der „bewaffnete Arm“ von „Blood & Honour“, wofür der Zahlencode „28“ steht. „Combat 18“ wird mitunter auch als „Kampfgruppe Adolf Hitler“ bezeichnet. Mit dem Verbot von „Blood & Honour“ durch das Bundesinnenministerium im Jahr 2000 sollte auch „Combat 18“ verboten werden, wurde jedoch in der Verbotsverfügung nicht gesondert aufgeführt, so dass die Gruppe eigenständig weiter agieren konnte. Nachdem auch der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke Kontakt zu „Combat 18“ gehabt haben soll, kündigte Innenminister Horst Seehofer nun an, er wolle prüfen lassen, ob Logo und Strukturen von „Combat 18“ separat verboten werden sollen.

    Das Recherchenetzwerk EXIF berichtete im Juli 2017, „Combat 18“ habe sich zwölf Jahre nach dem Verbot unter der Parole „Reunion 28“ neu organisiert und arbeite seitdem als internationales Netzwerk weiter. Der Neustart soll auf ein Konzert der Rechtsrock-Band „Oidoxie“ zurückgehen.

    Die Dortmunder Rechtsrock-Band gilt als tragende Säule im deutschen „Combat 18“-Netzwerk. Zunächst bildete sich um die Band eine eigene gewaltbereite Gruppe namens „Oidoxie-Saalschutz“, die sich später zur „Oidoxie Streetfighting Crew“ (SFC) mit verschiedenen lokalen Gruppen weiterentwickelte. Wie die WELT berichtete, pflegte auch Stephan E., der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke, enge Kontakte zu Akteuren der Oidoxie Streetfighting Crew.

    Neben Oidoxie gibt es in den Gruppen weitere Hinweise auf Verbindungen in die rechtsradikale Musikszene.

    Vikinger schreibt, dass er THING gemeinsam mit einem gewissen „Fylgien“ gegründet habe. Fylgien ist der Künstlername des rechtsextremen Berliner Liedermachers Sebastian Döhring. In einer anderen Telegram-Gruppe, zu der BuzzFeed News Zugang hat, teilt Fylgien einen Link zu seinem eigenen Kanal. Dort gibt es Neuigkeiten zu „Veröffentlichungen und Bekleidung“ von Fylgien. Es ist ein Indiz dafür, dass es sich um die gleiche Person handelt. Döhring ist außerdem Parteimitglied der NPD.

    Ein anderer Nutzer namens „Hirschi88“ hat im THING-Chat ein Foto der Band „Skindogs“ als Profilbild. Die Band taucht, wie auch der Liedermacher Fylgien, im brandenburgischen Verfassungsschutzbericht aus dem vergangenen Jahr auf. Über ein Facebookprofil finden sich Hinweise, dass es sich bei dem Nutzer Hirschi88 um den Sänger der Band handeln könnte. Zwei weitere Nutzer nennen sich „Blutzeugen 1120“ und „Phil von FLAK“. Auch dies sind Hinweise auf rechtsradikale Bands. FLAK und Blutzeugen traten vor zwei Jahren in Themar auf, bei der bisher größten rechtsextremistischen Musikveranstaltung in der Bundesrepublik.

    Hinweise auf die rechtsextreme Kampfsport-Szene

    Auch Verbindungen zu rechten und rechtsradikalen Kampfsportgruppen scheint es in den Gruppen zu geben. So bewarb der THING-Nutzer „88“ am 2. Juni die Veranstaltung „Tiwaz – Kampf der freien Männer“ in der Gruppe. Dabei handelt es sich um ein Kampfsportevent der rechtsextremen Szenen, das am 8. Juni in Zwickau stattfand.

    Ein weiteres Beispiel ist der Nutzer „Tim B.“ (Nachname abgekürzt durch BuzzFeed News). Als er THING beitritt, schreibt er: „Moin. Tim B. aus Neumünster, Schleswig Holstein. Heil euch!“

    Ein weiteres Profilfoto legt nahe, dass es sich bei dem Nutzer um den langjährigen Neonazi und Kampfsportler Tim B. handelt. Dieses zeigt Tim B. gemeinsam mit anderen Kämpfern. B. war Mitbegründer des „Club 88“ in Neumünster, der bis vor wenigen Jahren ein zentraler Treffpunkt für die rechtsextreme Szene in Norddeutschland war. Mittlerweile ist Tim B. erster Vorsitzender des Kampfsportclubs „Athletik Klub Ultra“, öffentlich tritt er kaum noch auf. In THING verbreitet Tim B. antisemitische Verschwörungstheorien und Hetze, schreibt etwa von „Parasiten“ und insinuiert, dass die Juden Schuld am 2. Weltkrieg gehabt hätten.

    Nur wenige Nutzer verwenden sowohl einen Vornamen, als auch ein Profilfoto, auf dem ein Gesicht zu sehen ist. Einer der wenigen, der sich zeigt, ist der Nutzer „Brigade 8 Lutz“. Hierbei handelt es sich um Lutz M., eine Führungsfigur der rechtsextremen Rockergruppe „Brigade 8“.

    Die „Brigade 8“ ist eine bundesweite vernetzte Neonazi-Bruderschaft und in Chapter gegliedert. Lutz M. ist Präsident des Chapters im sächsischen Weißwasser, im dortigen Clubheim finden regelmäßig Konzerte und überregionale Szenetreffen statt. Laut Recherchen von EXIF veranstaltete „Brigade 8“ erst im März diesen Jahres ein Konzert im sächsischen Mücka, an dem auch Mitglieder von „Combat 18“ beteiligt gewesen sein sollen. Wer den genauen Veranstaltungsort erfahren wollte, musste Lutz M. auf dem Handy anrufen, berichtete Tag 24.

    BuzzFeed News wollte all jene Gruppenmitglieder, die namentlich in diesem Beitrag erwähnt werden, telefonisch konfrontieren. In der Zwischenzeit wurden jedoch einige der Gruppen privat gestellt, weil die Mitglieder sich beobachtet fühlten. BuzzFeed News konnte daher nur noch Tim B., Vikinger und Lutz M. kontaktieren. Tim B. und Vikinger waren bis zum Erscheinen dieses Artikels nicht zu erreichen oder lehnten den Anruf ab. Lutz M. bestätigte seinen Namen, wollte aber keine weiteren Fragen beantworten. „Ihr schreibt doch sowieso nur Unsinn“, sagte er am Telefon.

    „Diese Gruppe hier, sowie die Untergruppen sind nicht sicher!“, schrieb ein Nutzer namens „Dr Zahni“ bereits am Mittag. „Es landen Bildschirmfotos auf Twitter und linkskriminellen Seiten. An die linkskriminellen: Der ...mann bekommt euch alle.“


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