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Ein interner Bericht des WWF bescheinigt den Umweltschützern große Probleme beim Umgang mit Menschenrechten

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Nachdem BuzzFeed News über schwere Menschenrechtsverbrechen berichtet hatte, beauftragte der WWF eine Untersuchung. Nun liegt der Bericht vor – und schlägt Alarm.

Der WWF muss seinen Umgang mit Menschenrechten grundsätzlich überarbeiten. Zu diesem Ergebnis kommt ein interner Bericht des WWF, den die Naturschutzorganisation als Reaktion auf Recherchen von BuzzFeed News in Auftrag gegeben hatte.

Eine internationale Recherche von BuzzFeed News hatte in mehreren Ländern Verstrickungen des WWF in schwerste Menschenrechtsverletzungen enthüllt. Der WWF hat demnach paramilitärische Einheiten finanziert, die die indigene Bevölkerung in Naturschutzparks gewaltsam vertrieben, Dörfer überfielen, Menschen folterten, ausspionierten sowie Gruppenvergewaltigungen und sogar Morde verübten.

In der nun vorliegenden Untersuchung wird dem WWF Deutschland großer Nachholbedarf beim Schutz von Menschenrechten attestiert. So heißt es in dem Bericht über die aktuellen Prozesse beim WWF:

„Eine ausführliche Diskussion zum Thema Menschenrechte scheint in der Regel nicht stattzufinden. Es besteht der Eindruck, dass Menschenrechtsaspekte wenig Beachtung finden und es keinen Mechanismus zur Überprüfung (...) und kein Follow-Up zu diesem Thema gibt.“

Weiterhin seien bei konkreten Projekten vor Ort „Menschenrechtsaspekte (...) unzureichend integriert“ und es sei „unklar, ob bei der Bewertung von Menschenrechtsrisiken die Perspektive von Rechteinhabern berücksichtigt wird.“

Der Schutz von Menschenrechten würde „in internen Projektbesprechungen nicht umfassend behandelt“. Würden sie doch intensiver berücksichtigt, dann nur, weil „Safeguards-Anforderungen öffentlicher Mittelgeber“ das vorschrieben.

WWF-Mitarbeiter kennen eigene Richtlinien nicht

Den Bericht hat das Institut des ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Markus Löning, angefertigt. Die Autoren des Berichts befragten auch zehn WWF-Mitarbeiter. Diese gaben offenbar selbst zu, mit den zahlreichen im WWF vorhandenen Richtlinien nicht immer sonderlich gut vertraut zu sein:

„Aus Interviews geht zum Beispiel hervor, dass einige Mitarbeiter:innen die Sozialstandards und -richtlinien nicht kennen und/oder sich der praktischen Nutzung oder Integration in aktuelle Prozesse nicht bewusst sind. Menschenrechtsfragen scheinen nicht strukturiert und umfassend behandelt zu werden.

Die Folge: Es gibt „bisher keine strukturierte Implementierung“, so dass „eine angemessene Integration solcher Schutzvorkehrungen in die laufenden Prozesse des WWF Deutschland nicht stattfindet.“

Selbst dann, wenn Mitarbeitern die einzelnen Richtlinien bekannt seien, würde das nicht sicherstellen, dass sie auch zur Umsetzung kommen:

„Die Richtlinien beinhalten eine Verpflichtung zur Umsetzung. Die Richtlinien selbst enthalten jedoch keine Ausführungsvorschläge.“ Ein Problem, das dem WWF offenbar bekannt ist:

„Wir haben erfahren, dass derzeit Trainings zu Sozialstandards und -richtlinien entwickelt werden, da die Verankerung dieser Richtlinien vom WWF Netzwerk in der Praxis als schwach und inkonsistent beurteilt werden.“

Nur Lobhudelei?

Ähnlich hart geht der Bericht mit der Öffentlichkeitsarbeit des WWF ins Gericht.

„Der WWF Deutschland berichtet zu ausgewählten menschenrechtlichen Themen, insbesondere zum positiven Fortschritt bei der Arbeit mit indigenen Gemeinschaften und zu den gefährlichen Arbeitsbedingungen von Rangern. (...)

Unsere Auswertung legt den Schluss nahe, dass der WWF Deutschland über mögliche negative Auswirkungen seiner Aktivitäten auf die Menschenrechte als Reaktion auf externe Stakeholder berichtet.“

So habe der WWF beispielsweise erst über Vorwürfe gegen Ranger, die in Kamerun Menschenrechtsverletzungen gegen das indigene Volk der Baka verübt haben sollen, berichtet, nachdem die NGO „Survival International“ die Vorwürfe öffentlich gemacht hatte.

„Es gibt jedoch keine systematische und strukturierte öffentliche Berichterstattung“, so das Fazit des Berichts – und mehr noch: der WWF betone zu oft nur die Gewalt gegen Ranger und Verstümmelung von Tieren und erkläre die sozialen Hintergründe vor Ort nicht:

„Durch Öffentlichkeitsarbeit wird die Aufmerksamkeit häufig auf die gewaltsame Tötung und Verstümmelung wildlebender Tiere, auf Bedrohungen für Ranger und auf die Notwendigkeit gelenkt, die Natur mit „militarisierten“ Methoden zu schützen, um Unterstützung für dringend benötigte Ressourcen zu erhalten.

Die sozialen und gesellschaftlichen Hintergründe, die die Wilderei und die mit ihr einhergehende Gewalt beeinflussen, werden jedoch selten behandelt.

Diese Entwicklungen bergen die Gefahr, dass „militarisierte“ Ansätze von Naturschutz als unumgänglich betrachtet werden und dadurch Konflikte in den betroffenen Regionen geschürt werden.“

Wie freiwillig ist freiwillig?

Ein Kapitel widmet sich der Frage, ob WWF-Projekte vor Ort stets die Zustimmung der dort lebenden Bevölkerung haben. Das Prinzip, das hier zur Anwendung kommt, nennt sich FPIC-Prinzip und steht für: freie, vorherige und informierte Zustimmung. Darüber heißt es in dem Bericht:

„Ob das FPIC-Prinzip in unterschiedlichen Naturschutzgebieten weltweit bisher ordnungsgemäß angewandt wurde, ist Gegenstand kontroverser Diskussionen.

Vorgaben, wie das FCIP-Prinzip konkret umzusetzen ist, scheinen dem Bericht zufolge nicht zu existieren.

Was mit „Gegenstand kontroverser Diskussionen“ gemeint ist, wird im Bericht nicht weiter ausgeführt. Einer weiteren Recherche von BuzzFeed News zufolge bestehen große Zweifel daran, wie im WWF mit dem FPIC-Prinzip umgegangen wird. So unterstützt der WWF Pläne für einen neuen Nationalpark in der Republik Kongo namens Messok Dja. Der EU gegenüber hatte der WWF versichert, die einheimische Bevölkerung stünde der Errichtung eines neuen Nationalparks „positiv“ gegenüber – obwohl ein interner Bericht große Angst vor „Unterdrückung“ durch die Parkschützer dokumentiert hatte.

Die EU hatte daraufhin dem WWF Fördermittel in Höhe von einer Million Euro für den geplanten Park in der Republik Kongo bewilligt – allerdings unter der Vorbedingung, dass die indigene Bevölkerung dem Vorhaben zugestimmt habe.

Der BuzzFeed News vorliegende Fördermittelantrag an die EU zeigt jedoch, dass dort entscheidende Passagen eines hierfür beauftragten, vertraulichen WWF-Berichts gelöscht wurden: Jene Passagen, die zeigen, dass die einheimische Bevölkerung zum Teil vehement gegen die Errichtung des neuen Parks ist.

Die Rolle des WWF Deutschland

Der Löning-Bericht stellt schließlich fest: Auch wenn der WWF eine internationale Großorganisation ist, liegt die Verantwortung für aus Deutschland geförderte Projekte beim WWF Deutschland.

„Innerhalb des globalen Netzwerks des WWF ist WWF Deutschland als sog. Nationalbüro kategorisiert. (...) Er ist an WWF International über eine Markenlizensierungsvereinbarung und ergänzende Jahresverträge gebunden. Ein Nationalbüro arbeitet eigenverantwortlich (...). Der WWF Deutschland ist somit im Hinblick auf sämtliche Tätigkeiten unabhängig vom WWF International. (...)

Da der WWF Deutschland das Management und die Fortschritte bei den Projekten überwacht, an denen er beteiligt ist, findet die Kommunikation auf Ebene der Organisationsstruktur direkt mit den Büros in den betreffenden Ländern statt (...).“

Zwar hatte der WWF Deutschland mehrfach darauf hingewiesen, dass mit von ihm bereitgestellten Geld keine Waffen gekauft werden dürften. Der Bericht mahnt die hierfür vorhandenen Vorgaben allerdings als zu ungenau an:

„Die Mittel des WWF Deutschland können für den Kauf von Ausrüstung für die Ranger verwendet werden. Die Verantwortung für die Bereitstellung von Ausrüstung für Ranger ist zum Teil in den Absichtserklärungen (MoUs) festgelegt. Wir haben keine klaren Richtlinien und Verfahren für die Bereitstellung von Ausrüstung für Ranger identifiziert.“

Was der WWF jetzt tun soll

Der rund 50-seitige Bericht schließt mit konkreten Empfehlungen an den WWF Deutschland, um künftig die Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden:


Außerdem solle der WWF Deutschland:

Ziel des Berichts war nach eigener Aussage „eine Prüfung und Zusammenfassung der Vorwürfe, die BuzzFeed News, insbesondere in Bezug auf die WWF-Projekte in und in der Nähe von Schutzgebieten in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo), in der Republik Kongo, in der Zentralafrikanischen Republik und in Kamerun im März 2019 erhoben hatte“.

BuzzFeed News recherchiert weiter zum Thema. Für Tipps oder Hinweise? So erreichen Sie unseren Reporter Marcus Engert : per Mail unter marcus.engert@buzzfeed.com – über WhatsApp und Signal unter +49 171 / 75 900 73. Für Hinweise und vertrauliche Dokumente haben wir außerdem einen anonymen und sicheren digitalen Briefkasten .

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Druck auf den WWF wächst

Als Reaktion auf die Recherchen hatte die WWF Zentrale in Zürich die Kanzlei „Kingsley Napley“ mit einer Untersuchung beauftragt, die auf „Reputationsmanagement“ spezialisiert ist. Auch der WWF Deutschland kündigte an, das Institut von Markus Löning, bis 2014 Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechte, mit einer Untersuchung zu beauftragen.

Update

02.05.2019, 17:15

Der WWF Deutschland verwies für eine Stellungnahme auf die Mitteilung auf seiner Webseite. In einer vorherigen Version dieses Textes stand zudem, der WWF habe sich bislang nicht zum gewählten Veröffentlichungszeitpunkt für den Bericht geäußert. Wie der WWF Deutschland nun mitteilte, sei der Termin gewählt worden, um am kommenden Tag erscheinenden Zeitungen die Möglichkeit zur Berichterstattung zu geben und dem Verdacht, die Veröffentlichung sei absichtlich vor einem Feiertag erfolgt, zu entgehen.

Nach dem Aufkommen der Vorwürfe geriet der WWF auch international unter Druck. Politiker in den USA und Großbritannien haben eine Überprüfung der staatlichen Förderungen für den WWF gefordert. Ben Fogle trat als WWF-Botschafter zurück. Die Leonardo di Caprio Foundation forderte vom WWF eine umfassende Untersuchung.

Auch der zuständige Bundestagsausschuss befasst sich seit Wochen mit dem Thema. In den betroffenen Parks werden auch deutsche Steuermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW eingesetzt. Nachdem die KfW sich mehrere Monate lang weigerte, Fragen von BuzzFeed News zu der Förderung zu beantworten, verklagt BuzzFeed News derzeit die bundeseigene KfW auf Informationsherausgabe.

Die Hintergründe zu diesem Thema:

Die Bundesregierung hat offenbar schwere Menschenrechtsverbrechen über Jahre mitfinanziert

Der WWF will einen neuen Nationalpark errichten und unterschlägt für EU-Fördermittel die Ablehnung der einheimischen Bevölkerung

In eigener Sache: Wir gehen gerichtlich gegen die KfW vor, weil sie uns Unterlagen zum WWF nicht geben will

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