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Die Umsetzung des neuen Transsexuellengesetzes wird verschoben, nachdem trans Personen es heftig kritisiert hatten

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„Inakzeptabel“ – „diskriminierend“ – „entmündigend“. Erneut kämpfen LGBT*s gegen ein neues Gesetz, das eigentlich Fortschritt bringen sollte.

Die Umsetzung des Transsexuellengesetzes ist verschoben, nachdem Fachverbände und Betroffene den Gesetzesentwurf tagelang heftig kritisiert hatten. BuzzFeed News Deutschland hatte den Entwurf vergangene Woche öffentlich gemacht.

Das Bundesinnen- und Bundesjustizministerium wollten das Gesetz eigentlich schon diese Woche Mittwoch in das Bundeskabinett einbringen, obwohl sie es erst Mitte der vergangenen Woche für eine Einschätzung an diverse Fachverbände geschickt hatten. Das bestätigen mehrere Quellen aus Fachverbänden und Behörden gegenüber BuzzFeed News.

Nun ist der Prozess aufgeschoben; möglicherweise, um über weitere Veränderungen zu verhandeln und Verbänden und Betroffenen mehr Rechte zuzugestehen.

Das Transsexuellengesetz von 1981 gilt als stark veraltet, seit vielen Jahren fordern Fachverbände und Betroffene eine Neufassung. Justizministerin Katarina Barley und Familienministerien Franziska Giffey sagten mehrfach, dass das Gesetz aufgehoben werden müsse. Doch über Jahre tat sich nichts – bis es nun auf einmal ganz schnell gehen sollte.

Vor wenigen Tagen veröffentlichte BuzzFeed News einen Gesetzentwurf, den das Justizministerium gemeinsam mit dem Innenministerium erarbeitet hatte. Fachverbände hatten vergangene Woche lediglich zwei Tage Zeit, um zu den Plänen Stellung zu nehmen. Viele Verbände kritisieren das in ihren Augen überhastete Vorgehen der Ministerien öffentlich sowie in Gesprächen mit BuzzFeed News.

An dem Gesetzentwurf wird vor allem kritisiert, dass trans Personen weiterhin auf ein ärztliches Gutachten angewiesen sind und ihr Geschlecht in einem gerichtlichen Verfahren anerkennen lassen müssen. Zudem kommen neue Regelungen dazu, deren Sinn unklar ist: Ehegatten sollen nun zu dem Geschlecht der trans Personen befragt werden. Viele trans Personen befürchten, dies könne zu Machtmissbrauch führen, etwa bei Scheidungen. Neu ist auch eine Regelung, die trans Personen eine Art dreijährige Sperrfrist auferlegt, sofern ihr Antrag abgelehnt wird.

Verbände und trans Personen fordern stattdessen ein Selbstbestimmungsgesetz, mit dem sie wesentlich unkomplizierter ihr Geschlecht anerkennen lassen könnten, etwa mit einem einfachen Antrag beim Standesamt.

Keine Stellungnahme der Ministerien, kein Interview

BuzzFeed News hat Bundesinnenminister Horst Seehofer diese Woche für ein Interview zum Transsexuellengesetz und dem Gesetz zur „Dritten Option“ angefragt. Das Interview haben wir im Format eines Streitgespräches angefragt, in dem Seehofer zusammen mit Tessa Ganserer über die neuen Regelungen diskutieren sollte. Ganserer sitzt für die Grünen im bayerischen Landtag und ist die erste Landtagsabgeordnete, die sich als trans geoutet hat. Ein Pressesprecher des Innenministeriums schrieb, er könne „derzeit kein Gespräch/Interview mit dem Minister anbieten.“

Das Bundesinnenministerium schrieb auf Anfrage von BuzzFeed News per Email, man könne zur inhaltlichen Ausgestaltung „keine näheren Auskünfte“ geben, weil noch Veränderungen am Entwurfstext zu erwarten seien. Auch das Justizministerium antwortete auf Anfrage, man könne zu einzelnen inhaltlichen Punkten keine Stellung nehmen.

Der Grund für die kurze Frist zur Stellungnahme der Verbände in der vergangenen Woche sei gewesen, dass sich das Bundeskabinett – also alle Minister der Bundesregierung – möglichst bald damit befassen solle, teilten beide Ministerien per Email mit.

Heftige Kritik: „völlig unzureichend und inakzeptabel“

Die Kritik von Fachverbänden und Betroffenen an dem Entwurf ist zum Teil sehr heftig. BuzzFeed News hat rund zwei Dutzend Stellungnahmen von Fachverbänden ausgewertet. Positive Reaktionen auf den Gesetzentwurf gab es in den Stellungnahmen und Briefen nur in einzelnen Passagen, mehrere Verbände lehnten den Entwurf komplett ab.

Die Landtagsabgeordnete Tessa Ganserer schreibt BuzzFeed News: „Ich werde mich nicht zwangsbegutachten und fremdbestimmen lassen. Und wenn ich 2023 noch mit meinem falschen Namen kandidieren muss.“ Den aktuellen Entwurf nennt sie inakzeptabel.

„Die einzig sinnvolle Reform des Transsexuellengesetz ist seine Abschaffung“, schrieb Sven Lehmann, der queerpolitische Sprecher der Grünen, auf Twitter.

Tessa Ganserer kämpft für ein besseres Transsexuellengesetz.

BuzzFeed.de © BuzzFeed News (Foto: Charlotte Schmitz)

Die Bundesvereinigung trans* bezeichnete den aktuellen Entwurf der Ministerien als „völlig unzureichend und inakzeptabel“ und „institutionelle Diskriminierung“. Der Verein Trans* Recht e.V. schrieb in einer Pressemitteilung: „Wir sehen mit Sorge, dass Deutschland mit dem vorliegenden Entwurf weiter hinter sich international etablierende Menschenrechtsstandards zurückfällt.“

In einer Stellungnahme des Bundespsychotherapeuthenkammer, die BuzzFeed News vorliegt, heißt es: „Aus Sicht der BPtK stellen die geplanten Verfahrensänderungen jedoch weiterhin unzumutbare Hürden für Betroffene dar und werden dem Ziel des Referentenentwurfes nicht gerecht.“

Verschiedene Definitionen von trans und inter Personen aus dem Gesetzentwurf bezeichnet die Bundespsychotherapeuthenkammer als „nicht sachgerecht“ – der Entwurf sei „keine substanzielle Weiterentwicklung“ im Vergleich zur vorherigen Regelung.

Auch der Lesben- und Schwulenverband Deutschland lehnt die Neuregelungen ab. „In ihrem Koalitionsvertrag versprach die Bundesregierung, geschlechtliche Vielfalt zu respektieren. Mit diesem Entwurf tut sie das gerade nicht“, schreibt der Verband in einer Pressemitteilung von Montagmittag. „Stattdessen sollen Trans- und Intergeschlechtlichkeit weiterhin pathologisiert und die Situation für Betroffene in einigen Bereichen sogar verschlechtert werden.“

Positiv wird in einigen Stellungnahmen angemerkt, dass künftig nur noch ein statt zwei Gutachten vorgelegt werden müssen. Dabei soll es sich anders als zuvor um eine kostenfreie Beratungsbescheinigung handeln. Zuvor mussten trans Personen mehrere tausend Euro für Gutachten und Gerichtskosten zahlen.

trans Personen fürchten Rückschritte

Unter dem Hashtag #TSGReform erklären trans Personen auf Twitter seit Tagen, warum das Gesetz für sie viel zu wenige Verbesserungen bringe – und teilweise sogar ein Rückschritt sei. BuzzFeed News hat die vielen wütenden und enttäuschten Reaktionen hier zusammengefasst. Bis heute haben bei verschiedenen Petitionen knapp 30.000 Menschen gegen den Gesetzesentwurf unterschrieben, die unter anderem von dem Blogger Linus Giese initiiert wurden.

Einige trans Personen befürchten sogar, dass das Gesetz für eine steigende Zahl von Selbstmorden bei trans Personen führen könnte. Etwa die Hälfte aller Jugendlichen, die sich als männlich identifizieren, aber bei der Geburt als weiblich eingetragen wurden, haben mindestens einen Suizidversuch unternommen, zeigte vor wenigen Monaten eine US-Studie der Universität Arizona.

Wie es nun mit dem Gesetzentwurf weitergeht, ist derzeit offen.

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