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Die Staatsanwaltschaft Köln hat entschieden, dass der Slogan „Abtreiben macht frei“ keine Volksverhetzung ist

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Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn nennt das umstrittene Plakat eine „schwer erträgliche Polemik“.

Vor wenigen Wochen hatte ein Plakat mit dem Slogan „Abtreiben macht frei“ in einer Kölner Buchhandlung für großes Medienecho gesorgt. Der Slogan ist an den Schriftzug „Arbeit macht frei“ aus dem Vernichtungslager Auschwitz angelehnt. Der Bundestagsabgeordnete Sven Lehmann (Grüne) erstatte daraufhin Strafanzeige gegen den Inhaber des Buchladens.

Nun hat die Staatsanwaltschaft Köln entschieden, in dem Fall kein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Die Antwort der Staatsanwaltschaft liegt BuzzFeed News Deutschland vor.

Der zuständige Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn aus Köln sagte BuzzFeed News am Telefon: „Es ist eine schwer erträgliche Polemik“. Diese bewege sich jedoch laut Strafgesetz noch innerhalb eines Rahmens, den man ertragen müsse.

Erst vor wenigen Wochen kam die Staatsanwaltschaft in München zu einem ähnlichen Ergebnis, wie BuzzFeed News berichtete. Die Münchener Staatsanwaltschaft hatte sich mit einem Flyer befasst, der unter anderem an Bundestagsabgeordnete verschickt worden war. Darin ist die Rede von einer „Endlösung der Kinderfrage“, „Babyzid“ und „Kinderschlachtung im Akkord“.

Der Kölner Begründung zufolge ist das in der Buchhandlung ausgestellte Plakat mit dem Slogan „Abtreiben macht frei“ durch die freie Meinungsäußerung gedeckt und eine im politischen Meinungskampf noch hinzunehmende Äußerung.

Geschäftsführer der Kölner Buchhandlung ist der Anti-Abtreibungs-Aktivist Karl Noswitz. Das geht sowohl aus einem Handelsregister-Eintrag auf der Plattform „Moneyhouse“ als auch aus dem Impressum der Buchhandlung hervor. Gegen ihn richtet sich auch die Strafanzeige.

Das Plakat in der Marienbuchhandlung in Köln

Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass die Staatsanwaltschaft Köln bei dem Vergleich von Abtreibung mit dem Holocaust kein Ermittlungsverfahren einleitet.

Ein zentraler Aspekt der Entscheidung ist, dass es sich nicht um eine Verharmlosung des Holocausts handelt, wie sie im Paragrafen 130 der Volksverhetzung definiert wird. „Im Gegenteil wird der Unwertgehalt des Holocausts nach Meinung dessen, der da spricht, unterstrichen“ so Oberstaatsanwalt Willuhn.

Das bedeute, dass der Holocaust nicht bagatellisiert oder beschönigt, sondern umgekehrt die Shoa als Argument herangezogen werde, um zu beschreiben, wie schlimm Abtreibung sei.

Zudem muss laut Paragraf 130 eine Tat zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern oder die Menschenwürde anderer angreifen, indem Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden.

Der Slogan „Abtreiben macht frei“ richte sich aber gegen den Vorgang der Abtreibung, erklärt Willuhn Buzzfeed News am Telefon. Es sei unklar, ob damit Ärztinnen, Beratungsstellen oder Frauen, die abtreiben gemeint seien. Man könne keine „hinreichend klar definierte Gruppe ausmachen“, so der Oberstaatsanwalt.

Sven Lehmann nennt die Entscheidung „befremdlich“

Zudem ist die Äußerung der Staatsanwaltschaft zufolge durch die Meinungsfreiheit gedeckt. „Allein die Wertlosigkeit oder die Gefährlichkeit von Meinungen als solche ist kein Grund, diese zu beschränken“, heißt es in der Einstellungsverfügung.

Abtreibung sei eine politische Frage, die seit Langem umkämpft sei, so Willuhn. „Und da wird der Meinungsfreiheit ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt. Das haben wir in der strafrechtlichen Bewertung dann auch zu berücksichtigen.“ In diesem Fall sei noch nicht so stark polemisiert worden, dass man strafrechtlich dagegen vorgehen könne, so Willuhn.

Der Abgeordnete Sven Lehmann nennt die Entscheidung in einer Pressemitteilung „befremdlich“, sie sei aber zu akzeptieren. Ihm sei wichtig, radikalen Abtreibungsgegnern einen Schuss vor den Bug zu geben. „Denn die Gleichsetzung von Abtreibung mit dem Holocaust darf nicht unwidersprochen bleiben“, schreibt Lehmann. „Das Motiv diffamiert und brandmarkt alle Frauen aufs Übelste, die sich in einem oft quälenden Prozess aus persönlichen Gründen gegen ein Kind entscheiden. Keine Frau macht sich eine solche Entscheidung leicht.“

BuzzFeed News hat mehrfach versucht, den Betreiber der Marienbuchhandlung in Köln telefonisch zu erreichen. Der Telefonanschluss ist derzeit deaktiviert.

BuzzFeed.de © Foto: Rheinisches antifaschistisches Bündnis gegen Antisemitismus; Montage: BuzzFeed News / Via Facebook: RABAkoeln

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